In Gold We Trust-Classics

Vom risikolosen Zins zum zinslosen Risiko

a) Bubble Territory?

„Der Kern des „Dieses Mal ist alles anders“-Syndroms ist einfach. Er besteht in der festen Überzeugung, dass Finanzkrisen nur anderen Menschen in anderen Ländern und zu anderen Zeiten passieren; jetzt, hier und bei uns kann es keine Krise geben. Wir machen alles besser, wir sind klüger, wir haben aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Die alten Regeln der Bewertung haben ihre Gültigkeit verloren.

Unglücklicherweise kann ein hoch verschuldetes Land viele Jahre unbemerkt mit dem Rücken am finanziellen Abgrund stehen, bevor das Schicksal und die Umstände eine Vertrauenskrise auslösen, die das Land in die Tiefe stürzen lässt.“ [1]

Noch nie gab es eine dermaßen globalisierte Nullzinspolitik. Allein seit Jahresbeginn haben 25 Notenbanken ihre Zinsen gesenkt. Die nachfolgende Grafik zeigt den Anteil der Industrienationen, die eine Null- oder Negativzinspolitik implementiert haben.

Prozentsatz der Industrienationen mit Nullzinspolitik

Prozentsatz der Industrienationen mit Nullzinspolitik

Quelle: IMF, Incrementum AG

Im Vorjahr hatten wir an dieser Stelle formuliert:

„Investoren müssen in Anbetracht der andauernden Niedrigzinspolitik auf der Suche nach Renditen immer höhere Risiken eingehen. Dieser Renditehunger treibt mittlerweile besorgniserregende Blüten.“ [2]

Wir fühlen uns in dieser Einschätzung bestätigt. So fand am 8. April eine historische Premiere der Wirtschaftsgeschichte statt: Der Schweiz gelang es als erstem Staat mit der Emission eines 10-jährigen Bonds nominell Geld zu verdienen. Die Anleihe mit einem Kupon von 1,5% wurde bei einem Emissionskurs von 116% begeben. Das „Wertpapier“ bietet seinen Zeichnern somit über die Laufzeit eine garantierte, negative Rendite. Auch im Rest Europas kann man nun „sicher Geld verlieren“: Mittlerweile notieren alleine in Europa Bonds im Gegenwert von über einer Billion EUR zu so hohen Kursen, dass ihre Renditen negativ sind. Mitte April bewegten sich die Renditen von 35% aller europäischen Staatsanleihen in negativem Terrain. Dies deutet zweifelsohne auf eine massive Überbewertung dieser Wertpapiere hin. Zeitgleich werden die Risiken der Papiere von den allermeisten Marktteilnehmern – entsprechend der nach wie vor gelehrten Finanzmarkttheorie – als risikolos betrachtet.

Nach der Bereinigung von Finanzmarktexzessen werden üblicherweise etliche Bücher über die zuvor „unvorhersehbare“ Blase geschrieben. Wir würden uns nicht wundern, sollte die aktuelle Mania an den Bondmärkten in einigen Jahren als Katastase in viele Bücher eingehen werden.

Rein evolutorisch betrachtet, macht die Herdenmentalität Sinn. Wird eine Herde gejagt, so bleibt sie besser zusammen – wer sich von der Herde entfernt, wird rasch Opfer der Jäger. Diese Taktik funktioniert jedoch nicht immer, es gibt Zeiten in denen es besser ist, sich von der Herde fernzuhalten. Es scheint für die meisten Marktteilnehmer jedoch schwer, gegen den tief im Unterbewusstsein verankerten Herdentrieb anzukämpfen.[3]

In einer faszinierenden Studie[4] beschreiben die beiden Professoren Schnabl und Hoffmann die wesentlichen Charakteristika einer Blasenbildung:Obwohl ex post Spekulationsblasen leicht identifizierbar sind, werden diese ex ante mehrheitlich nicht erkannt und vom Glaube getragen, dass der rechtzeitige Ausstieg vor dem Platzen der Blase möglich sei oder dem rasanten Aufstieg die weiche Landung folgen werde. Entscheidend sind irrationale Faktoren wie Herdenverhalten („Monkey see, monkey do“) oder das Unwohlsein, den Nachbar reich werden zu sehen. Obwohl Kindleberger anerkennt, dass Krisen am Ende von Spekulationswellen nicht prognostizierbar sind, identifiziert dieser zwei Faktoren, die diese wahrscheinlicher machen. Zum einen seien Spekulationswellen mit positiven wirtschaftlichen Erwartungen verbunden. Zum anderen sei reichlich Liquidität im Spiel, die den Nährboden der Übertreibungen bilde.“

Bei der Anlage in Staatsanleihen wird aufgrund der niedrigen Zinsen und der allgemein sehr hohen Belehnbarkeit vermehrt mit Leverage gearbeitet. Aufsichtsrechtlich ist es beispielsweise sogar für regulierte Fonds ohne weiteres möglich das Fondskapital stark zu hebeln, um so die niedrigen Renditen über Fremdfinanzierung zu vervielfachen. Dies machen sich unter anderem die in den vergangen Jahren immer beliebteren „Risk-Parity“ Konzepte zu Nutze. Vor allem die Veranlagung in Staatsanleihen wird dabei meist mittels der Anlage in Financial Futures über das Fondskapital hinaus massiv aufgeblasen.

Anleihen sind asymetrische Anlageinstrumente. Mehr als die Zinszahlungen und die Rückführung der Nominale kann der Investor nicht erhalten. Der maximale Ertrag ist beschränkt, das Verlustrisiko aber unbeschränkt. Darüberhinaus steigt dass Zinsrisiko, wenn die Renditen niedrig sind. So mancher Anleiheinvestor hat in den Monaten April und Mai diesen Jahres einen Schrecken erlitten. Zehnjährige deutsche Bundsanleihen (bzw. der Bund Future) erlitten innerhalb weniger Wochen einen Drawdown von über sieben Prozent. Der letzte derartige Abverkauf fand vor über einem Jahrzehnt statt. Selbst nach dem Rückschlag rentierten 10-jährige Anleihen noch unter einem Prozent. Das Verlustpotenzial ist bei einem raschen Anstieg auf ein deutlich höheres Zinsniveau (insbesondere für vermeintlich sichere Anlagen) enorm.

Von unterschiedlichsten Seiten wird seit geraumer Zeit vor möglichen Crashszenarien am Anleihenmarkt gewarnt, da die US-Notenbank nun nicht mehr (wie noch bis 2014) als Käufer, sondern möglicherweise bald als Verkäufer der Anleihen auftritt. Marktteilnehmer würden diesen Schritt antizipieren und den Effekt noch deutlich verstärken, indem Sie ebenfalls zeitgleich die Seiten wechseln würden. Unserer Meinung nach macht gerade dieser Umstand die angestrebte Rückführung der angekauften Anleihen seitens der FED unmöglich.

Die Bond-Party ist aber nicht nur auf Staatsanleihen begrenzt: Wo man auch hinsieht, wird die Vorsicht zu Grabe getragen. So weisen mittlerweile zahlreiche kurz- bis mittelfristige Anleihen internationaler Konzerne wie z.B. Roche oder Nestlé negative Renditen auf. Wem dies zu langweilig ist, kann in Junk-Bonds investieren, die derzeit im 98. Perzentil handeln, historisch also nur in 2% aller Fälle teurer bewertet waren. Wenn es jemals „return-free risk“ gegeben hat, so heute.[5]

Institutionelle Investoren wie z.B. Pensionskassen und Lebens-versicherungsgesellschaften und deren Begünstigte sind die größten Verlierer der Politik des billigen Geldes. Die Renditen der meisten Staatsanleihen liegen mittlerweile wieder deutlich unter dem Garantiezins. In Deutschland liegt der Garantiezins im Moment bei 1,25% [6], die Rendite einer 10-jährigen Bundesanleihe hingegen bei 0,80%.[7] Sobald die höher rentierenden Anleihen auslaufen, erfolgen Reinvestitionen auf deutlich niedrigeren Renditeniveaus. Je länger diese Diskrepanz anhält, desto stärker ist das Überleben vieler Versicherer bedroht. Den Veranlagungsdruck institutioneller Investoren illustriert folgendes Zitat eines institutionellen Fondsmanagers:

„In a world where bonds are yielding inflation minus 1 percent, if you can get something which yields a bit more than that, it’s the way to go“ [8]

Der oben beschriebene Renditedruck institutioneller Investoren sorgt dafür, dass sich selbst Staaten, die erst kürzlich einen Default angemeldet haben, nun problemlos frisches Kapital zu günstigsten Konditionen besorgen können. Ecuador, das 2009 einen Default eingestand, konnte erfolgreich zehnjährige Staatsanleihen im Volumen von zwei Milliarden Dollar platzieren. Auch Armenien, das seitens der Ratingagenturen als „hochspekulativ“ eingestuft wird, konnte mühelos zehnjährige Bonds zu Rekordkonditionen herausgeben.

Zu den größten Profiteuren des Niedrigzinsumfelde zählen die Frontier Markets [9], deren Emissionstätigkeit seit 2012 um 300% angestiegen ist. Insbesondere Anleihen aus der Sub-Sahara-Region fanden zuletzt reißenden Absatz. So emittierten beispielsweise Ghana, Senegal, Angola, Sambia, Ruanda oder Kenia in Dollar denominierte Anleihen.[10] Die Elfenbeinküste konnte inmitten des Bürgerkrieges und nur drei Jahre nach einem Default erfolgreich zehnjährige Staatsanleihen mit einer Rendite von 5,6% auf dem Markt platzieren – die Nachfrage übertraf das Angebot um ein Vielfaches.

Wir zeigen uns hinsichtlich dieses Bond-Bonanzas klar kritisch: Die zweifelhafte Bonität und die fragilen Aussichten rechtfertigen wohl kaum Renditen in Höhe von 5,5 – 8%. Die Vermutung liegt nahe, dass das Risiko massiv unterschätzt wird und deutlich höhere Risikoaufschläge angebracht wären.

Auch was die Laufzeiten betrifft, erkennt man Anzeichen einer Manie. So begab Mexiko einen weiteren „Century Bond“. Die 100-jährige Anleihe mit eine Rendite von 4,2% ist in Euro denominiert, hat ein Volumen von EUR 1,5 Mrd. und soll im April 2115 (!!!) getilgt werden. Dies ist nicht der erste Century Bond. Bereits 2010 begab Mexiko eine hundertjährige Anleihe mit einem Volumen von USD 2,7 Milliarden. Im geschichtlichen Kontext erscheint eine Prognose über den Fortbestand eines ungedeckten Währungssystems über 100 Jahre als äußerst gewagt. Sollte jedoch auf die Expertise Theo Waigels Verlass sein, der dem Euro noch weitere 400 Jahre Bestand zutraut, ist womöglich auch diese Staatsanleihe ein vernünftiges Investment für seine Nachkommen.[11] Wir hegen diesbezüglich jedoch leise Zweifel.

Fazit:

Die jüngste Manie an den Bondmärkten, die sich durch massive Überzeichnungen und Rekordpreise bei zunehmend spekulativeren Kursniveaus auszeichnet,
erinnert uns an die Exzesse der Nasdaq am Höhepunkt der Dotcom-Bubble. Exponentielles Wachstum lässt sich zwar auch in der Natur oft beobachten, es ist zeitlich jedoch immer befristet.

Eine Renditejagd wie die aktuelle bedeutet für den Einzelnen, dass er stets von einem „greater fool“ abhängig ist, um noch rechtzeitig vor dem Platzen der Blase aussteigen zu können. Während sich die Krise 2008 auf den Subprime-Markt sowie darauf basierende Derivate beschränkte, befinden wir uns nun in einer anderen Dimension der Blase: Staatsanleihen stehen im Zentrum des Schuldgeldsystems und machen den Großteil der Vermögenswerte von Zentralbanken und institutionellen Investoren aus. In letzter Instanz kann ein Platzen einer solchen Blase durch ein „unendliches QE-Programm“ verhindert werden. Dies bedeutet jedoch, dass das Vertrauen in die Währung über kurz oder lang evaporieren würde. 

b) Was man sieht und was man nicht sieht: Die verhängnisvollen Konsequenzen der Nullzinspolitk

Vor dreihundert Jahren formulierte Isaac Newton sein drittes Gesetz, auch Wechselwirkungsprinzip genannt. Es besagt „Kräfte treten immer paarweise auf. Übt ein Körper A auf einen anderen Körper B eine Kraft aus (actio), so wirkt eine gleich große, aber entgegen gerichtete Kraft von Körper B auf Körper A (reactio).

In einer dynamischen Ökonomie löst eine Handlung nicht nur eine Wirkung, sondern stets eine Reihe von unterschiedlichsten Konsequenzen aus.[12] Zwar ist der erste Effekt ursächlich oft erkennbar, die anderen Wirkungen entstehen jedoch häufig erst später und werden meist nicht folgerichtig zugeordnet. Frédéric Bastiat beschrieb dies im Jahre 1850 in seinem wegweisenden Aufsatz „Was man sieht und was man nicht sieht“: [13]

„Im Bereich der Ökonomie ruft eine Handlung, eine Gewohnheit, eine Einrichtung, ein Gesetz nicht nur eine einzige Wirkung hervor, sondern eine Reihe von Wirkungen. Von diesen Wirkungen ist nur die erste direkt, sie zeigt sich gleichzeitig mit ihrer Ursache, man sieht sie. Die anderen entwickeln sich erst nach und nach, man sieht sie nicht; glücklich wenn man sie vorhersieht.

Dies ist der ganze Unterschied zwischen einem guten und einem schlechten Ökonomen: Der eine klebt an der sichtbaren Wirkung, der andere berücksichtigt sowohl die Wirkung, die man sieht als auch diejenige, die man vorhersehen muss. Aber dieser Unterschied ist enorm, denn es ist fast immer so, dass die unmittelbare Folge günstig ist und die letztendlichen Folgen unheilvoll und umgekehrt. Das führt dazu, dass der schlechte Ökonom eine kleine gegenwärtige Verbesserung anstrebt, aus der ein großes Übel entsteht, während der wahre Ökonom eine große zukünftige Verbesserung erstrebt auf die Gefahr eines kleinen gegenwärtigen Übels.

Ähnlich verhält es sich mit den Konsequenzen der künstlich niedrig gehaltenen Zinsen sowie der monetären Stimuli: Sie scheinen kurzfristig positive Effekte zu haben, die Langfristfolgen sind jedoch desaströs und stehen in keinerlei Relation zu den Vorzügen. Betrachtet man diese Vorgänge genauer, so wird klar, dass die tieferliegenden Probleme durch die globalisierte Nullzinspolitik nicht gelöst werden, sondern stattdessen die natürliche Selektion des Marktes untergraben wird. Regierungen, Finanzinstitute, Unternehmer und Konsumenten, die sich eigentlich in der Insolvenz wiederfinden müssten, werden künstlich am Leben erhalten.

Folgt man dem Gedankengang von Bastiat, so lassen sich zahlreiche folgenschwere Langfrist-Konsequenzen der Niedrigzinspolitik identifizieren:[14]

  • Eigentlich konservative Anleger verspüren eine zunehmende Veranlagungsnot und gehen in Aussicht langfristig niedriger Zinsen überzogene Risiken ein. Dies führt zu Fehlallokationen von Kapital und zu Blasenbildungen.
  • Das süße Gift der niedrigen Zinsen führt zu massiver Vermögenspreisinflation (Aktien, Anleihen, Kunst, Immobilien).
  • Die strukturell zu niedrigen Zinsen der Industrienationen führen aufgrund von Carry Trades zur Bildung von Vermögensblasen und in den Schwellenländern zu Ansteckungseffekten.
  • Die Struktur der Finanzmärkte wird geschwächt, da unvorsichtiges Verhalten gefördert wird (moral hazard).
  • Aufgrund der stetig sinkenden Kaufkraft kommt es zur Veränderung menschlichen Verhaltens. Während Sparsamkeit immer mehr zu einem Relikt der Vergangenheit mutiert, wird Verschuldung rational.
  • In Folge des strukturell zu niedrigen Zinsniveaus entwickelt sich eine „Kultur der unverzüglichen Gratifikation[15], welche sich dadurch auszeichnet, dass Konsum via Verschuldung und nicht aus dem Ersparten finanziert wird. Die Eigentumsbildung wird sukzessive erschwert.
  • Die Tauschmittel- und Recheneinheitsfunktion des Geldes wird wichtiger, während die Wertaufbewahrungsfunktion an Bedeutung verliert.[16]
  • Die Anreize für Haushaltsdisziplin nehmen ab.
  • Es entstehen Zombiebanken: Niedrige Zinsen verhindern den gesunden Prozess der schöpferischen Zerstörung. Banken können potenziell uneinbringliche Kredite schier unendlich verlängern und verringern so ihren Abschreibungsbedarf.
  • Verteilungsungerechtigkeiten nehmen zu: Neu geschaffenes Geld wird weder gleichmäßig noch gleichzeitig auf die Bevölkerung verteilt. Es vollzieht sich ein permanenter Vermögenstransfer von späten Geldnutzern hin zu frühen Geldnutzern (Cantillon-Effekt).[17]

Konventionelle Geldpolitik – also die Förderung von Kreditschöpfung durch Zinssenkungen – stößt bei Erreichen der Nullzinsschranke an ihre Grenzen. Um die Stimulationsspirale weiter in Gang zu halten, gewinnt die „unkonventionelle Geldpolitik“ deshalb zunehmend an Bedeutung. Die Vielfalt der „neuartigen“ geldpolitischen Maßnahmen ist scheinbar nur durch die Kreativität der verantwortlichen Notenbanker begrenzt, wobei die letzten Jahre gezeigt haben, dass Zentralbanker äußerst kreativ sein können. Dass dieses Phänomen jedoch nicht neu ist, beweist unter anderem dieses Zitat aus dem Jahre 1922:

„Doch die Vermehrung der Menge des Geldes und der Umlaufsmittel wird die Welt nicht reicher machen […]. Ausdehnung des Zirkulationskredits führt zwar zunächst zum Aufschwung, zur Konjunktur; doch diese Konjunktur muß notwendigerweise früher oder später zusammenbrechen und in neue Depression einmünden. Durch Kunstgriffe der Bank- und Währungspolitik kann man nur vorübergehende Scheinbesserung erzielen, die dann zu umso schwererer Katastrophe führen muß.“

Ludwig von Mises [18]

Fazit:

Die Saat für die nächste Krise wird bereits eifrig ausgesät. Je länger die Nullzinsphase andauert, desto höhere Risiken werden Investoren, die gewisse Renditeanforderungen haben, eingehen müssen. Der Punkt, an dem das Vertrauen in das fragile Schuldengebäude zu bröckeln beginnt, ist schwer zu prognostizieren. Wir sind der festen Überzeugung, dass Gold einen sinnvollen Hedge für solche Vertrauenskrisen darstellt.

c) Nullzinspolitik und die folgenschwere Verzerrung der Kapitalstruktur

In Anlehnung an die Tradition der Österreichischen Schule betrachten wir Kapital nicht als bloße Maßzahl, sondern halten eine differenzierte Betrachtungsweise für angebracht. So erkennen wir an, dass Kapital eine heterogene Struktur aufweist, die sich im historischen Verlauf aus unzähligen Einzelentscheidungen herausgebildet hat. Zu jedem Zeitpunkt antizipieren Individuen mit ihrem spezifischen Wissen Potenziale, um den jeweiligen Stand der Kapitalstruktur gewinnbringend zu erweitern. Andere Technologien werden hingegen im Laufe der Zeit obsolet, wodurch sich entsprechende Enden und Knoten der Struktur zurückbilden.

Um ein höheres Wohlstandsniveau zu erreichen, begannen Menschen einen Teil ihres Gegenwartskonsums zurückzustellen, um Investitionen in effizientere Produktionstechnologie zu tätigen. Prominent ist in diesem Zusammenhang folgendes Beispiel der Robinson-Crusoe-Ökonomie: Crusoe beschließt seine Zeit nicht mehr gänzlich dem Fangen von Fischen zu widmen, sondern auch dem Weben eines Fischernetzes. Dadurch büßt er für den Augenblick an Konsum ein, steigert aber sein zukünftiges Konsumniveau.

Übertragen auf die Gegebenheiten einer komplexen Wirtschaft bleibt die grundlegende Feststellung, dass alleinig über den Konsumverzicht Ressourcen freisetzbar sind, die für Investitionsprojekte eingesetzt werden können. Dabei beschränkt man sich nicht darauf, Produktionsgüter herzustellen, die unmittelbar der Produktion von Konsumgütern dienen – sogenannte Güter zweiter Ordnung[19] wie im Beispiel das Fischernetz –, sondern produziert auch Güter höherer Ordnung, die wiederum der Produktion von anderen Produktionsgütern dienen und folglich „konsumferner“ sind.

Zwei Aspekte sind hierbei von zentraler Bedeutung: Spezifität und Zeit. Erstere besagt, dass die verfügbaren Ressourcen in dem weitestgehend irreversiblen Prozess des Investierens eine konkrete Form und Funktion, und dadurch auch eine ganz bestimmte Position in der Kapitalstruktur, einnehmen. Der Erfolg einer Investition ist folglich davon abhängig, ob sich das erstellte Kapitalgut wirklich in die gesamte Kapitalstruktur einfügt (dh. dass es in Kombination mit den anderen Kapitalgütern die finalen Konsummöglichkeiten wie gewünscht erweitert).

Der zweite Aspekt, nämlich der Aspekt der Zeit, wird oft unterschätzt bzw. wird in einem Umfeld, in dem realwirtschaftliche Investitionen als Barwerte in strukturierte Finanzprodukte oder Bilanzen einfließen, vollkommen vernachlässigt. Die Tradition der Österreicher misst dem Faktor Zeit hingegen eine prominente Rolle bei. Murray Rothbard bezeichnet sie sogar explizit als Produktionsfaktor.[20] Dies gründet auf der Tatsache, dass jegliche menschliche Handlung mit Zeit verbunden ist. Wenn also, wie bereits erwähnt, gegenwärtig Ressourcen zurückgestellt und in effizientere Produktionstechnologien investiert werden, so benötigt es eine gewisse Zeitspanne, ehe die Investitionen Früchte tragen. Dem Konsum, den man heute entbehrt, steht also bei erfolgreichem Kapitalaufbau ein höherer Konsum zu einem späteren Zeitpunkt gegenüber.

Dies führt uns zum Konzept des Zinses, den die Österreicher auch anders verstehen als die Ökonomen der neoklassischen oder monetaristischen Tradition. Dabei nehmen sie grundsätzlich an, dass Menschen ein klar definiertes Konsumbündel lieber unmittelbar als zu einem Zeitpunkt in der Zukunft konsumieren würden. Wenn Sparer also ihren gegenwärtigen Konsum einschränken und die damit freigesetzten Ressourcen für Investitionen zur Verfügung stellen, tun sie dies nur unter der Voraussetzung, durch gesteigerte konsumtive Möglichkeiten in der Zukunft dafür kompensiert zu werden. Auf freien Märkten gilt der Zins dabei als Maß für die Kompensationszahlung, bei welcher die Akteure dazu bereit sind, Gegenwartsgüter gegen Zukunftsgüter einzutauschen. Dieser Zins wird als „natürlicher Zins“ bezeichnet und gibt Auskunft über die Zeitpräferenz der Marktteilnehmer. Investitionsprojekte, die Renditen unterhalb dieses Zinssatzes abwerfen, werden in einer freien Marktwirtschaft nicht angestoßen, da ihre Erträge nicht die gegenwärtigen Konsumeinbußen aufwägen.

Vor dem Hintergrund des „natürlichen Zinses“ lässt sich nun etwas besser verstehen, warum die aktuelle Situation künstlich erzeugter Niedrigzinsen auf Dauer unhaltbar ist: Diese können maximal in der Funktion eines „Luftröhrenschnitts“[21] eine strauchelnde Wirtschaft vor dem Kollaps bewahren, wenn die Liquidität beim Ausbruch einer Krise klemmt. Da aber langfristig niedrige Zinsen einerseits Investitionsprojekte anstoßen, die unter anderen Bedingungen gar nicht rentabel wären, gleichzeitig aber auch den Gegenwartskonsum anregen, da mit dem Sparen weniger Erträge einhergehen, kann eine solche Politik nicht nachhaltig sein. Tückischerweise machen gerade langfristige Investitionen den Anschein profitabel zu sein, da sich bei der Berechnung durch die Diskontierung mit niedrigen Zinsen hohe Nettobarwerte ergeben. Eine Zeit lang mögen geldpolitische Manipulationen über die tatsächlichen Gegebenheiten hinwegtäuschen und die Märkte jubilieren lassen, indem sie einer monetären Chimäre nachjagen. Früher oder später wird jedoch der Mangel an realen Ressourcen offensichtlich und Fehlinvestitionen werden schonungslos aufgedeckt. Dann setzt entweder eine Krise ein, in der die Schulden abgewickelt werden und die Geldmenge kontrahiert, oder es wird die nächste Stufe einer lockeren Geldpolitik eingeläutet, die die Illusion aufrechterhält und die Kapitalstruktur noch stärker verzerrt.

Diese Entwicklung erkennt man anhand der nachfolgenden Grafik, welche den Quotienten aus Kapital- und Konsumgütern im Zeitablauf abbildet. Ein Ansteigen der Kurve zeigt an, dass relativ mehr Kapitalgüter als Konsumgüter produziert werden. Zwar lässt sich aus der Grafik nicht ableiten, wie viele davon Fehlinvestitionen sind, jedoch fällt unmittelbar ins Auge, dass nach der Aufgabe des Goldstandards 1971 der Quotient seinen vorherigen Oszillationsraum verlassen hat und stark angestiegen ist. Zudem folgten auf Phasen extremer Anstiege stets Rezessionen, die mit einem Fallen des Quotienten einhergehen.

Quotient aus Kapitalgütern vs. Konsumgütern (graue Flächen zeigen US-Rezessionen an)

Quotient aus Kapitalgütern vs. Konsumgütern (graue Flächen zeigen US-Rezessionen an)

Quelle: Federal Reserve St. Louis, Incrementum AG

Ein Anstieg der Ratio-Linie lässt darauf schließen, dass sich die Kapitalstruktur vertieft, dh. dass zunehmend Güter höherer Ordnung produziert werden. In einer unverzerrten Ökonomie wäre nichts dagegen einzuwenden: Eine Vertiefung der Kapitalstruktur wäre Ausdruck dafür, dass Menschen mehr Ersparnisse erbringen, um in effizientere und kapitalintensivere Technologien zu investieren, die ihnen höhere Konsummöglichkeiten in der Zukunft ermöglichen. Da aber bei künstlichen Niedrigzinsen die Ersparnisse keineswegs zunehmen, sondern ganz im Gegenteil abnehmen, deutet ein akzelerierter Anstieg der Ratio-Linie auf eine nicht nachhaltige Verzerrung der Kapitalstruktur hin.

Fazit:

Kapital ist eine komplexe Struktur, die das dezentrale Wissen unzähliger Marktteilnehmer beinhaltet. Der natürliche Zins ist Ausdruck der Zeitpräferenz der Akteure, dh. er spiegelt wider, inwiefern die Marktteilnehmer die verfügbaren Ressourcen für ihren gegenwärtigen und zukünftigen Konsum einsetzen möchten. Eine Kapitalstruktur, die sich anhand des natürlichen Zinses herausbildet, ist demnach im Einklang mit den Bedürfnissen der Menschen.

Künstlich erzeugte Niedrigzinsen führen dagegen zu Verzerrungen: Bei gleichzeitig höherem Konsum findet eine Vertiefung der Kapitalstruktur statt, dh. es werden vermehrt Investitionen in konsumferneren Segmenten angeregt. Langfristig wird sich herausstellen, dass dafür nicht genügend Ressourcen zur Verfügung stehen und Projekte abgeschrieben werden müssen. Momentan hält sich jedoch noch diese Illusion eines monetären Perpetuum Mobiles in den Märkten.

[1] Vgl. „This time is Different”, Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff

[2] Vgl. „In Gold We Trust 2014”, S. 37

[3] Vgl. „Die große Geldschmelze“, Hanno Beck und Aloys Prinz, S. 245

[4] Vgl. „Geldpolitik, vagabundierende Liquidität und platzende Blasen in neuen und aufstrebenden Märkten“, Gunther Schnabl und Andreas Hoffmann

[5] Vgl. „Junk Jumpers: The Era of Return-Free Risk“, Acting-man.com

[6] Er wurde per 1.1.2015 von 1,75% auf 1,25% abgesenkt. 

[7] Stand: 18. Juni 2015

[8] Vgl „Pension funds seek riskier, illiquid bets to make returns they need”, Reuters, März 2015

[9] Unter „Frontier Markets“ versteht man Länder, die hohe Wachstumsraten aufweisen, jedoch noch nicht den Status eines Emerging Markets erreicht haben. Die Frontier Markets umfassen im Moment z.B. Algerien, Mosambique, Tunesien, Bangladesch oder Kolumbien.

[10] Was angesichts der letztjährigen Dollar-Rally die innewohnenden Risiken weiter verdeutlicht.

[11] Vgl. „Theo Waigel gibt dem Euro noch weitere 400 Jahre”, Die Welt

[12] Anmerkung: Carl Menger hatte bereits die Kausalität als Gesetzmäßigkeit herausgestellt, so lautete der erste Satz seines revolutionären Werkes „Grundsätze der Volkswirtschaftslehre“: „Alle Dinge stehen unter dem Gesetz von Ursache und Wirkung. Dieses grosse Prinzip hat keine Ausnahme und vergebens würden wir im Bereiche der Empirie nach einem Beispiele von seinem Gegentheile suchen.

[13] „Ce qu’on voit et ce qu’on ne voit pas”, Frédéric Bastiat

[14] Vgl. „In Gold We Trust“ 2014, Seite 33-34

[15] Vgl. „Wenn Menschen zu Ratten werden“, Linus Huber

[16] Vgl. „Ein Staatsgeldsystem lädt Regierungen immer zum Betrug ein“, Hubert Milz, Ludwig von Mises Institut Deutschland

[17] Vgl. „Cantillon Effekt beschreibt ungleiche Distribution von neu geschaffenem Geld“, In Gold We Trust Report 2013

[18] Vgl. „Die Gemeinwirtschaft“, Ludwig von Mises, S. 460-462

[19] Ein Fisch ist ein Gut erster Ordnung, nachdem er den Nutzen (das Stillen des Hungers) direkt befriedigt.

[20] Vgl. „Man, Economy, and State with Power and Market”, S. 515, Murray N. Rothbard 

[21] Vgl. „Banken liquidieren“, Mayers Weltwirtschaft, FAZ

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Ronald Stöferle und Mark Valek Autoren des In Gold We Trust report

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