Wenn das Gold nach Hause kommt: Strategien der Zentralbank‑ Repatriierung
„Streck deine Hand aus,
greif nach dem herrlichen Gold.“
William Shakespeare
- Die Repatriierung von Gold durch die Zentralbanken ist ein Phänomen, das 2011 begann und sich bis heute in mehreren Wellen fortsetzt.
- Die Länder, die Gold repatriiert haben, sind zahlreich und unterschiedlich, von bedeutenden Industriestaaten in West- und Mitteleuropa – Deutschland, Niederlande, Österreich, Polen, Ungarn und Serbien – bis hin zu einigen Schwellenländern wie Indien, Türkei und Venezuela.
- Zusammen haben diese Zentralbanken seit 2011 mehr als 1.800 t Gold repatriiert.
- In vielen Ländern ging der Goldrepatriierung eine harte politische Auseinandersetzung voraus. Die Repatriierung befürworteten meist die nationalen Rechnungshöfe und einige Oppositionspolitiker, während die Zentralbanken und andere Politiker Widerstand leisteten.
- Jüngste Umfragen unter Zentralbanken wie vom World Gold Council und von INVESCO deuten darauf hin, dass die Goldrepatriierung weiterhin ein Thema bleiben wird.
- Die Zentralbanken kaufen und repatriieren Gold wegen des erhöhten geopolitischen Risikos, der Militarisierung des Finanzsystems und wegen der Besorgnis über den Zugang zu im Ausland gelagerten Gold.
Einführung
Unter Goldrepatriierung versteht man den Prozess, bei dem die Zentralbanken ihre physischen Goldreserven aus den Tresoren ausländischer Goldverwahrer in ihr eigenes Land zurückbringen. Dieser Prozess hat seit 2011 erheblich an Dynamik gewonnen, gerade auch deswegen, weil der Trend zur Goldrepatriierung als ein sich selbst verstärkendes Phänomen betrachtet werden kann. Während viele Länder Gold erfolgreich repatriiert haben, gibt es auch Länder, in denen die Repatriierungsbemühungen scheiterten.
Der Impuls, Gold wieder in den unmittelbaren Besitz der Zentralbanken zu bringen, wurde durch eine Reihe von Faktoren ausgelöst, darunter geopolitische Spannungen und Sanktionsrisiken, der Wunsch nach wirtschaftlicher Souveränität sowie einer Vertrauenserosion, die gerade auch durch das Verweigern eines Audits beigetragen hat.
Im In Gold We Trust-Report 2019 „Gold im Zeitalter der Vertrauenserosion“ setzten wir uns schwerpunktmäßig mit dem Phänomen Vertrauen auseinander, insbesondere mit jenem in die Währung und das Geldsystem sowie mit den Folgen der Erosion dieses Vertrauens. Bereits damals hielten wir fest: „Die Vertrauenserosion in die internationale Währungsordnung manifestiert sich in den höchsten Goldkäufen der Notenbanken seit 1971 sowie im Repatriierungstrend der Goldbestände.“ Seit dieser Beobachtung vor mittlerweile 6 Jahren haben die Goldkäufe der Zentralbanken deutlich zugelegt und ein Rekordniveau erreicht.
Gründe der Goldrepatriierung
Die Zentralbanken repatriieren Gold aus einer Vielzahl miteinander verbundener Gründe. Die wichtigsten Auslöser und Beweggründe für die Repatriierung von Gold sind die folgenden:
- Verringerung des Sanktionsrisikos: Da die USA, die EU und die G7 aktiv Sanktionen verhängen und ausländische Reserven einfrieren und konfiszieren, repatriieren die Zentralbanken Gold und halten es unter direkter staatlicher Kontrolle, um zu verhindern, dass im Ausland gelagertes Gold mit Sanktionen belegt und damit der Verfügungsgewalt der Zentralbank entzogen wird.
- Audit: Manche nationalen Rechnungshöfe haben die Repatriierung des Goldes verlangt, um eine Überprüfung der Goldreserven vornehmen zu können, da die Federal Reserve Bank of New York und die Bank of England physische Prüfungen untersagen.
- Konzentrationsrisiko: Aufsichtsbehörden können zu dem Schluss kommen, dass die Lagerung eines hohen Prozentsatzes der Goldreserven in einem einzigen ausländischen Tresor ein Konzentrationsrisiko darstellt.
- Zweifel an der Existenz des Goldes: Die mangelnde Transparenz von Verwahrern wie der Federal Reserve Bank of New York hat den Verdacht genährt, dass nicht genügend Gold vorhanden ist, um alle Goldforderungen zu decken. Die extrem zähe Repatriierung der deutschen Goldreserven aus New York und Paris über einen Zeitraum von fünf Jahren hat dieses Misstrauen zusätzlich verstärkt. Die Zentralbanken ziehen daher ihr Gold ab und repatriieren es, um sich der tatsächlichen Existenz ihrer Goldbestände zu vergewissern.
- Geopolitische Spannungen: Zunehmende politische und militärische Konflikte, Handelskriege und die Neuordnung der Handelsblöcke veranlassen die Zentralbanken, ihre Goldreserven im Inland zu lagern, um das Risiko des Einfrierens von Vermögenswerten oder der Nutzung der Goldreserven als politische Verhandlungsmasse zu verringern.
- Globales Momentum: Wenn eine Zentralbank Gold repatriiert, ziehen andere nach, weil sie befürchten, angreifbar zu sein. Es bildet sich eine Eigendynamik, vergleichbar mit dem Spiel „Reise nach Jerusalem“.
- Politischer Druck von Politikern und der Bevölkerung: In vielen Fällen haben Regierungen als Folge innenpolitischen Drucks Gold repatriiert.
- Eliminierung des Gegenparteirisikos: Physisches Gold birgt kein Gegenparteirisiko, aber das gilt nur, wenn das Gold im Inland gelagert wird und nicht im Ausland. Die Weltfinanzkrise 2007/2008 veranlasste die Zentralbanken, das Gegenparteirisiko neu zu bewerten, und verstärkte die Bedeutung von in inländischen Tresoren gelagertem Gold.
- Vorbereitung auf Währungskrisen: Die Euro-Schuldenkrise von 2009 bis 2012 lenkte die Aufmerksamkeit der Zentralbanken auf Währungskrisen und machte deutlich, wie wichtig es ist, Gold als stabile Reserve während finanzieller Turbulenzen zu halten.
- Verringerung des Erpressungspotenzials: Die Repatriierung von Gold verhindert, dass ausländische Regierungen die Zentralbanken unter Druck setzen, ihr im Ausland gelagertes Gold bei Swaps, Krediten und Leasinggeschäften oder in politischen oder wirtschaftlichen Verhandlungen einzusetzen. Die souveräne Kontrolle minimiert daher den externen Einfluss auf die Geldpolitik.
- Strategische Reserve: Gold ist ein zentraler strategischer Vermögenswert einer Zentralbank, mit kontinuierlichem Wertzuwachs und eine Grundlage des nationalen Wohlstands. Die Zentralbanken erkennen zunehmend, dass ihr Gold am sichersten ist, wenn es im Inland gelagert wird, frei von externer Kontrolle und sicher vor Beschlagnahmung.
- Eine vertrauensbildende Maßnahme: Die Repatriierung von Gold stärkt die nationale Souveränität und fördert das Vertrauen der Öffentlichkeit.
- Aus Gründen der Sparsamkeit: Goldverwahrer wie die Bank of England erheben laufende Gebühren für die Lagerung. Die Repatriierung kann trotz der unmittelbar für Transport und Versicherung anfallenden Kosten langfristig die Lagerungskosten senken.
- Krisenszenarien: Wenn Gold in Krisenzeiten im Ausland aufbewahrt wird, kann es für Bailouts beschlagnahmt werden. Durch die Repatriierung wird sichergestellt, dass die Goldreserven in Zeiten finanzieller Instabilität nicht gefährdet sind und unter staatlicher Kontrolle bleiben.
- Verhinderung der Verwendung von Gold für Bailouts: Historische Fälle deuten darauf hin, dass einige Zentralbanken zu Goldverkäufen gedrängt wurden, um nicht rückzahlbare Golddarlehen zu schließen und Verbindlichkeiten von Bullion-Banks zu decken. Durch die Lagerung im Inland wird der Druck vermieden, zur Deckung solcher Verbindlichkeiten beitragen zu müssen.
Jedenfalls ist zu bedenken, dass die Zentralbanken sich für gewöhnlich diplomatisch ausdrücken und sich nur im Ausnahmefall gegenseitig öffentlich kritisieren.
Praktische Gründe für Zentralbanken, Gold bei Drittverwahrern zu lagern
Es gibt jedoch einige praktische Gründe, warum die Zentralbanken Gold weiterhin in den traditionellen Goldlagern der Bank of England in London, der Banque de France in Paris und der Federal Reserve Bank of New York in Manhattan aufbewahren. Dazu gehören:
- Sichere Lagerung und Expertise: Diese Institutionen sind bekannt für ihre hochmodernen Hochsicherheitstresore und verfügen zudem über eine langjährige Erfahrung in der Lagerung der Goldreserven von Zentralbanken.
- Liquidität und Marktzugang: Die Bank of England in London bietet den Zentralbanken die Möglichkeit, Gold an einem Ort zu kaufen, zu lagern und zu verkaufen. Der gleichzeitige Zugang zum Goldleih- und Goldswapmarkt, der von den Geschäftsbanken betrieben wird, die ebenfalls Goldkonten bei der Bank of England unterhalten, erlaubt es den Zentralbanken, Einnahmen zu erzielen. Gold kann auch als Sicherheit für die Beschaffung von Devisen verwendet werden.
- Diversifizierung des Lagerungsrisikos: Die Lagerung eines bestimmten Prozentsatzes der Goldreserven in einem stabilen ausländischen Land ermöglicht es den Zentralbanken, das Lagerungsrisiko zu diversifizieren, insbesondere wenn im eigenen Land politische Instabilität herrscht.
Zentralbankumfragen und Goldrepatriierung
Während es seit 2011 einige prominente Fälle von Goldrepatriierungen gab, die wir anschließend näher betrachten, ist es wichtig, zu wissen, dass die Goldrepatriierung durch die Zentralbanken keine Sache der Vergangenheit ist, wie die Ergebnisse der jüngsten Goldumfragen unter Zentralbanken zeigen.
Die jährliche „Invesco Global Sovereign Asset Management Study“, für die 2023 57 Zentralbanken und 85 Staatsfonds befragt wurden, ergab, dass von den 43 befragten Zentralbanken, die 2023 Gold erwarben, 68% angaben, physisches Gold im eigenen Land zu verwahren. 2020 waren es dagegen nur 50% gewesen. Interessanterweise gaben 74% der Befragten an, dass sie bis 2028 physisches Gold im eigenen Land verwahren wollen. Der Trend zur Repatriierung wird sich daher auch in Zukunft fortsetzen.
Ein anonymer westlicher Zentralbanker, der in der Invesco-Studie 2023 zitiert wird, sagte, dass seine Bank früher Gold in London gelagert habe, das nun aber in sein Heimatland zurückgeführt worden sei, und wird wie folgt zitiert:
„Gold has played a crucial role during the last couple of years. We increased the exposure 8–10 years ago and had it held in London, using it for swaps and to enhance yields, but we’ve now transferred our gold reserves back to our own country to keep it safe – its role now is to be a safe-haven asset.“
Dieser Zentralbanker wollte anonym bleiben. Das beweist, dass es neben den Zentralbanken, die an die Öffentlichkeit gegangen sind, auch Zentralbanken gibt, die Gold im Verborgenen repatriieren. Die Repatriierung von Zentralbankgold wird also wie der Kauf von Zentralbankgold gehandhabt: Ein Teil davon wird öffentlich bekannt gegeben, ein Teil wird geheim gehalten.
Die Invesco-Studie ergab darüber hinaus, dass „central banks prefer to hold physical gold rather than gold ETFs or derivatives“, und dass von den 24 Zentralbanken, die angaben, ihre Goldreserven 2023 erhöhen zu wollen, ganze 96% dies damit begründeten, dass Gold ein sicherer Hafen sei, während 38% angesichts des Präzedenzfalls, der durch das Einfrieren der Devisenreserven der russischen Zentralbank geschaffen wurde, über das „freezing of central bank assets“ besorgt waren.
Die beiden Trends der Goldkäufe der Zentralbanken und der Repatriierung von Gold sind inzwischen untrennbar miteinander verbunden. Die Zentralbanken kaufen Gold wegen des steigenden geopolitischen Risikos und der Militarisierung der Währungsreserven durch Sanktionen.
Dies wurde in der 2023 erschienenen IWF-Studie „Gold as International Reserves: A Barbarous Relic No More?“ über internationale Goldreserven thematisiert. In dieser Studie heißt es, dass:
„…the decision to freeze foreign exchange reserves of the Russian central bank has highlighted the possibility that other central banks may respond by shifting a portion of their reserves from foreign exchange into gold, which can be repatriated and vaulted at home.“
Die „Invesco Global Sovereign Asset Management Study 2024“ ergab, dass 60% der Zentralbanken „consider gold as a hedge against geopolitical turmoil“, während 56% der Meinung waren, dass „the weaponisation of central bank reserves makes gold more attractive“. Diese Aussagen stützen nicht nur den Trend zur Lagerung der Goldreserven im eigenen Land, sondern auch die Goldnachfrage der Zentralbanken in den kommenden Jahren.
Auch die „2024 Central Bank Gold Reserves Survey“ des World Gold Council (WGC), an der 70 Zentralbanken teilnahmen, geht in diese Richtung. Die Ergebnisse dieser Umfrage zeigen, dass geopolitische Instabilität zu den drei wichtigsten Gründen zählt, warum Zentralbanken in Gold investieren, wobei 76% der Zentralbanken der Schwellenländer dies angaben, d. h. jener Zentralbanken, die tatsächlich für den Großteil der Zentralbank-Goldkäufe verantwortlich zeichnen.
Diese Umfrage ergab, dass die aktuellen Themen, die Zentralbanken zunehmend zum Kauf von Gold motivieren, a) die Performance von Gold in Krisenzeiten, b) die Funktion von Gold als geopolitischer Diversifikator, c) das fehlende politische Risiko von Gold, d) die zunehmende Besorgnis über Sanktionen und e) das steigende politische Risiko in den westlichen Industriestaaten. Ähnlich wie die Ergebnisse der Invesco-Umfragen veranlassen auch die vom WGC genannten Themen die Zentralbanken dazu, Gold zu repatriieren.
Die OMFIF-Studie „Global Public Investor 2024“, in der 73 Zentralbanken befragt wurden, hat zum Ergebnis, dass die beiden wichtigsten Beweggründe der Zentralbanken für das Halten von Gold in ihren Reserveportfolios a) die Diversifizierung (68% der Befragten) und b) die Absicherung gegen geopolitische Risiken (40% der Befragten) sind. Eine noch aktuellere OMFIF-Studie mit dem Titel „Gold and the New World Disorder 2025–26 Perspectives“ greift das Sanktionsrisiko auf und stellt fest, dass:
„Even countries that are staunch American allies fear they may be caught up in the indirect effect of sanctions on third countries, which could jeopardise their holdings in dollars or other western currency assets in certain jurisdictions. The move into gold has been strengthened by doubts overshadowing other reserve currency alternatives“.
Ein ähnliches Thema wird im „Gold Investing Handbook for Asset Managers“ der Weltbank aus dem Jahr 2024 erörtert, in dem es heißt, dass „geopolitical risk is a major factor for asset managers to consider, especially in emerging markets“. Dies liege daran, dass „geopolitical events can have significant impact on financial markets“, und diese Ereignisse haben zum Einfrieren von Zentralbankguthaben geführt. Zunächst waren nur kleinere Zentralbanken betroffen. So wurden 2010 Guthaben der Zentralbank von Iran in der Höhe von 1,9 Mrd. USD eingefroren, 2017 Guthaben von Kasachstan in der Höhe von 22,6 Mrd. USD, 2020 Guthaben Venezuelas in der Höhe von 342 Mio. USD, 2021 Guthaben Afghanistans in der Höhe von 7 Mrd. USD. 2022 wurde nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine erstmals Guthaben eines großen Staats im Umfang von schätzungsweise 258 Mrd. USD 2022 eingefroren. Betreffen kann ein derartiges Einfrieren nicht nur die Devisenreserven, sondern auch Gold, wie die Weltbank zum Goldbesitz bei ausländischen Verwahrern – treffend möchte man ergänzen – festhält: „Political risks must be considered because gold accounts can be frozen.“
Die Zeitreihenanalyse der Daten zu den Tresorbeständen unterstreicht den anhaltenden Trend zur Repatriierung von Gold, wie Jan Nieuwenhuijs in einem Artikel mit dem vielsagenden Titel „Repatriated Gold Reaches Historic Highs“ ausführt: „The share of global official gold reserves not stored at the Federal Reserve and Bank of England has reached 78% in 2024, from 51% in 1972. This shift can be seen as a proxy for the West’s decline in financial dominance.“
Goldrepatriierung in der Praxis
Nachdem wir die allgemeinen Trends, Motivationen und aktuellen Überlegungen der Zentralbanken in Bezug auf die Goldrepatriierung untersucht haben, wenden wir uns nun konkreten Fallstudien zu.
Venezuela: 160 t
Die erste öffentlichkeitswirksame Goldrepatriierung durch eine Zentralbank in jüngerer Vergangenheit erfolgte durch die Banco Central da Venezuela (BCV). In einem Zeitraum von zwei Monaten zwischen dem 25. November 2011 und dem 30. Jänner 2012 wurden mit 23 Frachtflügen 160 t venezolanischen Goldes von Europa zurück nach Caracas geflogen.
Ausgelöst durch die drohenden US-Sanktionen und den Wunsch, die Abhängigkeit von westlichen Finanzinstitutionen zu verringern, war die Goldrepatriierung der BCV eine klassische „First Mover Advantage“-Aktion, die den Boden für spätere Repatriierungen bereitete und den Begriff „Goldrepatriierung“ erst in die öffentlichen Debatten einbrachte.
Initiator der Aktion war der venezolanische Präsident Hugo Chávez, der im August 2011 in einer Direktive mit dem Titel „Proposed relocation of the International Reserves“ die BCV aufforderte, innerhalb von zwei Monaten 210 t Gold zu repatriieren. Die Repatriierung des Goldes war Teil der Strategie Venezuelas, internationale Devisenreserven von westlichen Finanzinstituten abzuziehen und sie bei Banken in den BRICS-Ländern China, Russland und Brasilien anzulegen.
Bemerkenswert ist, dass die BCV die Repatriierung des Goldes am 17. August 2011 ankündigte, zwei Wochen nachdem S&P die Kreditwürdigkeit der USA herabgestuft hatte, und Chavez behauptete, er bringe das Gold wegen der weltweiten Finanzkrise nach Venezuela zurück: „the time has come, the economies of Europe and the United States are collapsing. Now we have to see how strong the economies of China, Russia and Brazil are.“
Logistik und Umsetzung
Als öffentlicher Unterstützer des libyschen Staatschefs Muammar Gaddafi war Chavez auch besorgt, dass der Westen Venezuela auf die gleiche Weise sanktionieren könnte wie die Vereinten Nationen, die Libyen im Februar 2011 sanktioniert und die Guthaben von Gaddafi und der libyschen Regierung eingefroren hatten. Die Repatriierung des venezolanischen Goldes wurde auch als populistisches Spiel und als Mittel zur Erlangung der Souveränität über das Gold dargestellt, wobei der damalige Präsident der BCV, Nelson Merentes, erklärte: „[W]e want to protect our assets, which belong to all Venezuelan people.“ Laut Merentes waren an Aktion zur Repatriierung des venezolanischen Goldes, die als „Patriotisches Gold“ (Oro Patrio) bezeichnet wurde, 500 Personen beteiligt. Von den 23 Flügen transportierte der erste Flug 5 t Gold und der letzte Flug 14 t, während die anderen 21 Flüge jeweils durchschnittlich 6,7 t Gold an Bord hatten.
Strategische Motivation und Folgen
Zu diesem Zeitpunkt, im August 2011, besaß Venezuela 366 t Gold, von denen 156 t oder 42,3% in den Tresoren der BCV in Caracas und die restlichen 210 t oder 57,7% im Ausland gelagert waren. Von den 210 t Gold im Ausland befanden sich 99,2 t bei der Bank of England, 12 t bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), 17,5 t bei J.P. Morgan. Weitere 83 t wurden verliehen und wurden zu diesem Zweck auf fünf Goldbanken verteilt, nämlich Barclays, HSBC, Standard Chartered, die Bank of Nova Scotia und BNP Paribas.
Während Chavez und die BCV gefordert hatten, dass alle 210 t Gold nach Venezuela zurückgebracht werden sollten, wurden letztlich nur 160 t zurückgebracht, während 50,87 t in der Bank of England in London verblieben, um für „internationale Finanzgeschäfte“ verwendet zu werden. Diese Entscheidung, das Gold bei der Bank of England zu belassen, sollte der BCV zum Verhängnis werden, da es sich um jenes venezolanische Gold handelte, das die Bank of England 2018/2019 auf Anweisung des britischen Außenministeriums, des US-Finanzministeriums und des US-Außenministeriums, einfror.
Deutschland: 674 t
Die Goldrepatriierung Venezuelas in den Jahren 2011/2012 trug dazu bei, dass die deutsche Öffentlichkeit Fragen zur Lagerung des deutschen Goldes im Ausland zu stellen begann. Infolgedessen kam die Goldrepatriierungsbewegung in Deutschland in Gang.
2011 besaß Deutschland 3.396 t Gold, aber nur 31% davon wurden in Frankfurt gelagert, der Rest bei der Federal Reserve in New York (1.536 t), der Bank of England in London (450 t) und der Banque de France in Paris (374 t). Aufgrund der Geheimhaltung der Bundesbank und fehlender Audits begann eine Reihe von deutschen Politikern, Bundesrechnungsprüfern und großen deutschen Medien wie die Tageszeitung Bild und das Wochenmagazin Der Spiegel Fragen zu stellen.
Im Juli 2011 deckte der Spiegel auf, dass die Bundesbank die deutschen Goldreserven in New York nur selten kontrollierte. Sie hatte die Tresore in Manhattan nur zweimal – 2007 und 2011 – besucht, beide Male mit begrenztem Zugang. Diese Enthüllung erfolgte nach einer parlamentarischen Anfrage des CSU-Politikers Peter Gauweiler, die zu einem Bericht von Professor Jörg Baetge führte, der der Bundesbank vorwarf, ihre Prüfungspflichten zu vernachlässigen. Im November 2011 berichtete Bild, dass der Bundesrechnungshof auf der Grundlage von Baetges Bericht eine Untersuchung über die mangelnde Aufsicht der Bundesbank über das im Ausland gehaltene deutsche Gold eingeleitet habe.
Im März 2012 veröffentlichte Bild einen Artikel über das bei der Federal Reserve of New York Bank gelagerte deutsche Gold und sprach von einem „unglaublichen Gold-Skandal“, nachdem BILD-Reporter Ralf Schuler und ein weiterer deutscher Politiker, Philipp Mißfelder (CDU), den New Yorker Goldtresor der Federal Reserve in Manhattan aufgesucht hatten, ihnen aber der Zugang verwehrt wurde. Mißfelder forderte daraufhin von Bundesbankpräsident Jens Weidmann eine Liste der deutschen Goldbarren. Dieser behauptete allerdings, die Liste sei geheim und Nachfragen würden das Vertrauen zwischen der Bundesbank und der Federal Reserve gefährden.
Die Repatriierungskampagne
Anfang 2012 drängte die deutsche Initiative „Holt unser Gold heim!“, angeführt von Peter Boehringer sowie dem Unternehmer und CSU-Kommunalpolitiker Rolf Baron von Hohenhau, die Bundesbank zu einer vollständigen, unabhängigen Prüfung des gesamten deutschen Goldes und zu dessen rascher Repatriierung aus dem Ausland. Die Initiative forderte, dass 100% des deutschen Goldes repatriiert werden sollten, um die Bilanz der Bundesbank zu stützen und die künftige Währungsdeckung zu gewährleisten.
Die Initiatoren der Kampagne – zu den 28 Hauptunterzeichnern gehörten u. a. der Industrielle Hans-Olaf Henkel, Jim Rogers, Egon von Greyerz, Dimitri Speck und Ed Steer (GATA) – hatten in Q4/2011 bereits damit begonnen, die Bundesbank zu befragen, und forderten eine vollständige Prüfung des physischen Goldbestands, wobei sie darauf hinwiesen, dass eine solche Prüfung schon lange überfällig wäre.
Im Mai 2012 schloss der deutsche Bundesrechnungshof seinen Untersuchungsbericht ab. Veröffentlicht wurde eine geschwärzte und auf Drängen der Bundesbank redigierte Version erst im Oktober 2012. Der Bericht übte heftige Kritik an der Bundesbank und verlangte die Vor-Ort-Überprüfung des deutschen Auslandsgoldes. Weitere erstaunliche Details kamen zutage:
- Die deutsche Goldbarrenliste bei der Federal Reserve of New York würde aus den Jahren 1979/80 stammen.
- Die Federal Reserve of New York würde die ausländischen Zentralbanken ein Audit der Goldreserven verwehren.
- Weder in New York noch in London oder Paris wurde jemals eine Prüfung des physischen Goldbestands durchgeführt. Die Bundesbank verließ sich all die Jahre auf schriftliche Bestätigungen.
Im Jahr 2007 durften Bundesbankmitarbeiter nur einen Vorraum des New Yorker Tresors betreten und sahen kein Gold. Im Mai 2011 wurde den Prüfern Gold in einem Fach gezeigt, aus dem nur wenige Barren herausgezogen und gewogen wurden.
Der Bericht des Bundesrechnungshofs verwies auch auf Pläne, die in einem der neun Tresore der Federal Reserve in New York gelagerten Goldbarren zu zählen und zu wiegen. In Panik wehrte sich die Bundesbank unter Berufung auf rechtliche und vertrauliche Gründe und schlug stattdessen vor, drei Jahre lang jährlich 50 t Gold zur Prüfung zu repatriieren. Der Vorstand versuchte auch, Prüfungen abzuwehren. So sagte Carl-Ludwig Thiele, dass das deutsche Gold nicht bei „dubiosen Geschäftspartnern“, sondern bei „hoch angesehenen Zentralbankern“ gelagert sei.
Philipp Mißfelder wies die Ablenkungstaktik der Bundesbank zurück und betonte, dass das gesamte im Ausland gelagerte deutsche Gold repatriiert und die Bilanzierungsvorschriften eingehalten werden müssten.
Die verzögerte Repatriierung
Im Jänner 2013 machte die Bundesbank wieder einen Rückzieher und veröffentlichte ein neues „Lagerstellenkonzept“. Darin wurde versprochen, in einem überlangen Zeitrahmen von acht Jahren und ohne Jahresziele bis zum 31. Dezember 2020 insgesamt 300 t Gold aus New York und 374 t Gold aus Paris zu repatriieren.
Dieser absurde, weil auf acht Jahre angelegte Plan zur Repatriierung von Gold stieß ebenfalls auf harte Kritik und verstärkte den Verdacht, dass das im Ausland gelagerte deutsche Gold entweder verschwunden oder für geheime internationale Goldtauschvereinbarungen mit ausländischen Zentralbanken verwendet wurde. Die im besten Fall zögerliche Repatriierung führte die Deutsche Bank ein Jahr später, 2014, euphemistisch auf „diplomatic difficulties“ zurück. Wie sich herausstellte, war selbst jenes Gold, das von 2013 bis 2017 nach Deutschland zurückgeführt wurde, nicht ohne Weiteres verfügbar und musste nach und nach von den Verwahrern beschafft – oder aus Goldswaps abgewickelt – und dann von der Federal Reserve an die Bundesbank zurückgegeben werden, wie der folgende Zeitverlauf verdeutlicht:
2013 repatriierte die Bundesbank 37 t Gold, davon 32 t aus Paris und lediglich 5 t Gold mit niedrigem Feingehalt aus New York, die umgeschmolzen wurden, um ihre Herkunft zu verschleiern. Im Jahr 2014 wurden 120 t repatriiert, davon 85 t aus New York, wobei 50 t Gold mit niedrigem Feingehalt aus demselben Grund umgeschmolzen wurden. 2015 wurden 210 t repatriiert, davon 99 t aus New York. 2016 wurden 216 t nach Deutschland transferiert, womit die Repatriierung von 300 t aus New York abgeschlossen war und 91 t in Paris verblieben. Im August 2017 wurden die letzten 91 t aus Paris gebracht, womit der Repatriierungsprozess 56 Monate nach der Ankündigung des Plans abgeschlossen war.
Die Bundesbank hatte jedoch zu keinem Zeitpunkt erklärt, warum die Heimholung von 300 t Gold aus New York vier Jahre dauerte, während Venezuela 160 t mit 23 Frachtflügen in nur zwei Monaten aus Europa repatriieren konnte. Auch der Transport von 374 t Gold von Paris nach Frankfurt – eine Entfernung von weniger als 600 km – hätte in wenigen Wochen erledigt werden können. Seltsamerweise sind in den Jahren 2013–2017 keine Beweise oder Fotos von auch nur einem einzigen Transport der Bundesbank aufgetaucht.
Mit der Repatriierung von 674 t oder 28% des im Ausland gelagerten Goldes gelang es jedoch, den öffentlichen Druck abzuschwächen und den politischen Forderungen den Wind aus den Segeln zu nehmen, während gleichzeitig die Bundesrechnungsprüfer daran gehindert wurden, die deutschen Goldbarren zu zählen und zu wiegen, die angeblich in neun Tresorräumen der Federal Reserve of New York gelagert wurden.
Die Rückkehr der Bedenken
Die Diskussion um die Repatriierung der in New York lagernden Goldreserven brandeten im Zuge der aufkommenden Spannungen zwischen den USA und der EU zuletzt wieder auf. So forderte der mittlerweile aus dem Deutschen Bundestag ausgeschiedene CDU-Abgeordnete Marco Wanderwitz, der bereits 2021 vergeblich das Ansuchen stellte, die deutschen Goldreserven in den USA zu inspizieren, die sofortige Rückführung der mehr als 1.200 t deutschen Goldes aus New York, was knapp 37% der gesamten deutschen Goldreserven entspricht.
Niederlande: 122,5 t
Die im August 2011 angekündigten Pläne Venezuelas zur Repatriierung von Gold führten auch zu einer Untersuchung der von der niederländischen Zentralbank (De Nederlandsche Bank, DNB) verwalteten niederländischen Goldreserven. Im September 2011 stellte der niederländische Abgeordnete Ewout Irrgang eine Anfrage an das niederländische Finanzministerium bezüglich der Lagerorte der 612,5 t Gold der DNB, da diese Informationen zu diesem Zeitpunkt nicht öffentlich zugänglich waren.
Von Fragen zu Taten
Nach sechs Wochen teilte das niederländische Finanzministerium mit, dass das niederländische Gold in New York, London, Ottawa und Amsterdam gelagert wurde, gab aber nicht bekannt, wie viel Gold sich an den einzelnen Orten befand. Im Jänner 2012 gab der Präsident der DNB, Klaas Knot, in einer niederländischen Fernsehsendung bekannt, dass nur 67 t des niederländischen Goldes, d. h. weniger als 11%, in Amsterdam gelagert seien, der Rest würde sich im Ausland befinden. Diese Ausflucht von Knot, die ausländischen Lagerorte nicht zu nennen, löste einen Aufschrei in Politik und Öffentlichkeit aus. In derselben Fernsehsendung sagte Irrgang, es sei leichtsinnig, in Zeiten finanzieller Instabilität – die Euro-Krise war gerade im Gange – 90% des niederländischen Goldes im Ausland zu lagern, während Willem Middelkoop argumentierte, es gebe keinen Grund, das Gold nicht zu repatriieren. Auf die Frage, ob das Gold repatriiert werden sollte, antwortete Klaas Knot mit einem entschiedenen „Nein“.
Im Dezember 2012 bestätigte der niederländische Finanzminister Jeroen Dijsselbloem schließlich die Goldlagerorte der DNB wie folgt: über 50% oder 300 t Gold würden in New York lagern, 20% in Ottawa, fast 20% in London und 11%, wie bereits erwähnt, in Amsterdam. Gleichzeitig lehnte Dijsselbloem die Idee einer Repatriierung des niederländischen Goldes ab und erklärte in Anlehnung an die Strategie der Bundesbank, dass das Gold bei Zentralbanken mit „ausgezeichneter Erfolgsbilanz“ gelagert werde.
Die Geheimoperation
Im November 2014 meldete die DNB jedoch überraschend, dass sie 122,5 t Gold von der Federal Reserve Bank of New York nach Amsterdam zurückgeführt habe, wodurch sich ihr Goldanteil in Amsterdam auf 31% erhöhte .Während die DNB diesen Schritt mit vagen Begründungen wie der ausgewogeneren Streuung ihres Goldbestandes und der positiven Auswirkung auf das Vertrauen der Öffentlichkeit des Goldes rechtfertigte, erklärte sie aber auch, dass es nicht mehr klug sei, die Hälfte der Goldreserven im Ausland zu lagern.
Da diese Änderung der Haltung im Widerspruch zu früheren Zusicherungen von Klaas Knot und Jeroen Dijsselbloem im Jahr 2012 stand, scheint es daher, dass die Goldrepatriierungspläne der Bundesbank 2012/2013 bei der DNB Bedenken auslösten und die DNB veranlassten, die Repatriierung einzuleiten. Der Sinneswandel der DNB entwickelte sich wahrscheinlich zwischen 2012 und 2014 und wurde auch durch die europäische Schuldenkrise beeinflusst.
Der Goldanalyst Jan Nieuwenhuijs berichtete im November 2014, dass die DNB die Repatriierung des Goldes bereits 2012 in Erwägung gezogen hatte, dass aber laut DNB-Quellen das Thema ziemlich heikel sei. Ein DNB-Team besuchte dann 2013 die Federal Reserve of New York, um ein Gold-Audit vorzunehmen, und Mitte 2014 begannen die Vorbereitungen für die Repatriierung. Das Gold wurde im Oktober und November 2014 in mehreren Transporten zurückgeflogen.
Deutschland, Niederlande und die Daten der Federal Reserve of New York
Die US Federal Reserve veröffentlicht jeden Monat Daten über die Menge des für das Ausland gehaltenen Goldes, d. h. „zweckgebundenes Gold“ („earmarked gold“), im Tresor der Federal Reserve Bank of New York (siehe Tabelle 3.13). Da sowohl die Bundesbank (2013–2016) als auch die De Nederlandsche Bank (2014) angegeben haben, im selben Zeitraum Gold aus dem Tresor der Federal Reserve of New York abgezogen zu haben, kann der von ihnen gemeldete Abzug mit den von der Federal Reserve verzeichneten Goldabflüssen verglichen werden.
2013 meldete Deutschland die Entnahme von 5 t, was mit den Daten der Federal Reserve übereinstimmt. Im Jahr 2016 gab Deutschland die Repatriierung von 111 t bekannt, während die Federal Reserve Abflüsse von 113 t verzeichnete, was eine hohe Übereinstimmung ist. 2014 gaben die DNB und die Bundesbank an, 122,5 t bzw. 85 t aus den Tresoren der Federal Reserve Bank of New York abgezogen zu haben, insgesamt also 207,5 t. Aus den Daten der Federal Reserve geht jedoch hervor, dass nur 176,8 t entnommen wurden, was eine Diskrepanz von 30,7 t ergibt. 2015 meldete die Bundesbank die Entnahme von 99 t, während die Daten der Federal Reserve 129 t ausweisen, also 30 t mehr. Dies deutet darauf hin, dass entweder die 2014 gemeldeten 30 t in Wirklichkeit erst 2015 entnommen wurden oder eine andere Stelle die Bundesbank 2014 mit Gold belieferte, das später von der Federal Reserve erstattet wurde. Dies würde bedeuten, dass die Bundesbank 2014 tatsächlich nur 55 t Gold von der Federal Reserve erhielt, von denen sie 50 t umschmelzen musste, um die Herkunft der Barren zu verschleiern, was darauf hindeutet, dass es sich bei den erhaltenen Barren um Gold mit niedrigem Feingehalt aus den Goldbeständen des US-Finanzministeriums bei der Federal Reserve of New York handelte.
Österreich: 90 t
2015 setzte sich der Dominoeffekt der Goldrepatriierung durch die Zentralbanken fort, als die Oesterreichische Nationalbank (OeNB) im Mai 2015 ankündigte, 90 t ihres im Ausland gelagerten Goldes von London nach Österreich zu repatriieren und weitere 50 t von London in die Schweiz zu verlagern. Zu diesem Zeitpunkt verfügte die OeNB über 280 t Gold, von denen 80% oder 224 t bei der Bank of England in London, 50 t in den Tresoren der Münze Österreich – einer hundertprozentigen Tochtergesellschaft der OeNB – und die restlichen 6 t in der Schweiz gelagert wurden.
Der Rechnungshofbericht
Auslöser für die Goldrepatriierung in Österreich war ein Rechnungshofbericht. Dieser Bericht wurde im Februar 2015 veröffentlicht. Darin wurde festgestellt, dass die OeNB Ende 2013 rund 178 t oder 82% ihres physischen Goldbestandes bei der Bank of England lagerte, was „einem hohen Konzentrationsrisiko“ entspräche. Der österreichische Rechnungshof stellte zudem fest, dass:
- der Goldverwahrungsvertrag mit der Bank of England Mängel aufweist;
- die OeNB Goldverwahrungsverträge mit insgesamt vier ausländischen Verwahrungsstellen hatte, davon drei in der Schweiz, die aber „im Hinblick auf Regelungen betreffend die Sicherstellung der Werthaltigkeit und Existenz der Goldbestände […] in wesentlichen Teilen mangelhaft und unzureichend“ waren;
- es in allen vier Lagerverträgen keine Bestimmungen über den Zugang der OeNB zu den Goldlagern gab und keine Möglichkeit bestand, Prüfungen durchzuführen. Wie die Prüfer feststellten: „Ein Konzept zur Durchführung der Revision für Goldbestände, die im Ausland gelagert waren, fehlte.“
Das Goldlagerstellenkonzept 2020
Als Reaktion auf diesen Bericht wurde ein Plan, das „Goldlagerstellenkonzept 2020“ ausgearbeitet. Dieser sah vor, dass Österreich 50% bzw. 140 t seines Goldes bis 2020 in die Wiener Tresore der OeNB und der Münze Österreich verlagern würde, 20% bzw. 56 t des Goldes in die Schweiz, während 30% bzw. 84 t in London verbleiben sollten. Wie die Bundesbank erklärte auch die OeNB, dass die Umsetzung des neuen Goldlagerstellenkonzeptes „schrittweise“ über einen Zeitraum von mehr als vier Jahren erfolgen solle.
Die schrittweise Umsetzung der Empfehlungen des Rechnungshofes zeigt sich darin, dass die Repatriierung von 90 t Gold aus London in die Tresore der OeNB in Wien zwar im Jahr 2015 begonnen, aber erst mehr als drei Jahre später Anfang Juli 2018 abgeschlossen wurde. 2018, also nach der Repatriierung von 90 t Gold aus London, lagerte die OeNB bereits 140 t Gold in Wien, davon 90 t in den eigenen Tresoren der OeNB und 50 t in den Tresoren der Münze Österreich.
Polen: 100 t
Eine der größten und öffentlichkeitswirksamsten Goldrepatriierungsaktionen der letzten Jahre wurde von der polnischen Nationalbank (NBP) im Jahr 2019 durchgeführt. Dabei wurden 100 t Gold von der Bank of England in London in die Tresore der NBP in den polnischen Städten Posen und Warschau transportiert.
Strategische Entscheidungen und Nationalstolz
Im Juli 2019 gab die NBP überraschend bekannt, dass sie im Zuge der Aufstockung ihrer Goldbestände auf 228,6 t 100 t Gold in London gekauft und die „strategische Entscheidung“ getroffen hatte, diese 100 t Gold in Form von 400-Unzen-Goldbarren aus London in die Tresore der NBP in Polen zu transferieren.
Die NBP verwies zwar auf die Notwendigkeit einer geographischen Diversifizierung der Lagerhaltung, spielte aber erstaunlicherweise auch auf die Risiken der Lagerung von Gold bei der Bank of England an und erklärte, sie führe die Goldrepatriierung durch, „um das geopolitische Risiko zu verringern“ und um zu vermeiden, „dass der Zugang zu den im Ausland gelagerten Goldressourcen verloren geht oder deren freie Verfügbarkeit eingeschränkt wird“. Die NBP erklärte, dass sie ihre Entscheidung „unter Berücksichtigung der Praktiken anderer Zentralbanken“ getroffen habe. Die polnische Goldrepatriierung würde nach den Worten der NBP auch „die Glaubwürdigkeit stärken und die Finanzkraft unseres Landes auch unter extrem ungünstigen Bedingungen sichern“.
Mit 8 Flügen zur Unabhängigkeit
Mit insgesamt acht Frachtflügen wurden die 100 t Gold von August bis November 2019 repatriiert. Jeder Flug transportierte 12,5 t Gold, d. h. 1.000 Goldbarren. Die Repatriierung wurde im November 2019 abgeschlossen, nachdem acht Frachtflüge. Interessanterweise wurde 2019 der 100. Jahrestag der Einführung des Złotys begangen, was erklärt, warum die NBP genau 100 t nach Polen zurückführen wollte. Die NBP gab sogar eine barrenförmige Goldmünze für Sammler heraus, um an die Repatriierung zu erinnern.
Ungarn: 94,5 t
Im Oktober 2018 gab die ungarische Zentralbank, die Magyar Nemzeti Bank (MNB), bekannt, dass sie 28,4 t Gold in London gekauft und damit ihre Goldreserven von 3,1 t auf 31,5 t aufgestockt habe. Zudem habe sie das gesamte Gold nach Budapest zurückgeführt. 2021 meldete die MNB, dass sie weitere 63 t Gold auf dem internationalen Markt gekauft habe, wodurch sich ihre Goldreserven auf 94,5 t verdreifachten, und dass dieses Gold 2020 und 2021 ebenfalls vollständig nach Budapest zurückgeführt wurde, wie der MNB-Gouverneur György Matolcsy bestätigte.
Serbien: 13 t
Im Jahr 2021 führte die serbische Zentralbank (NBS) 13 t Gold aus Bern in die serbische Hauptstadt Belgrad zurück. Davon hatte die NBS 12 t 2020 und 2021 gekauft, 1 Tonne stammt aus dem Zerfall Jugoslawiens. Im Juli 2021 lagerte das gesamte Gold der NBS in Serbien, zu diesem Zeitpunkt 37 t. Nach Angaben des NBS-Gouverneurs Tabakovic wurde das Gold auf Wunsch des serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic nach Serbien zurückgeführt. Vucic begründete dieses Vorgehen damit, dass man nicht wissen könne, was in der Welt passiert.
Frankreich: 219 t
Zwischen 2013 und 2016 repatriierte die Banque de France 219 t Gold nach Paris und erhöhte damit ihre inländischen Bestände von 91% auf 100%. Vor der Repatriierung lagerten diese 219 t wahrscheinlich in London. Im August 2016 meldete die Banque de France, dass sie die gesamten Goldreserven von 2.435 t in ihren Pariser Tresoren aufbewahrt. Diese diskrete Verlagerung, die sich nur indirekt aus Angaben der Banque de France ableiten lässt, wonach 2013 noch 9% der französischen Goldreserven im Ausland aufbewahrt wurden, ist wahrscheinlich auf die Entscheidung Frankreichs zurückzuführen, Goldleihgeschäfte in Zusammenarbeit mit J.P. Morgan anzubieten, wodurch die Lagerung in London überflüssig wurde. Die diskrete Repatriierung von 219 t Gold durch die Banque de France in den 2010er-Jahren war die zweitgrößte Zentralbankrepatriierung des Jahrzehnts und übertraf die der niederländischen Zentralbank, fand aber in den Medien kaum Beachtung.
Türkei: ~200+ t
2017 und 2018 repatriierte die türkische Zentralbank CBRT erhebliche Goldmengen von der Bank of England (über 100 t), der Federal Reserve Bank of New York (28,7 t) und der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (19 t), was auf das Misstrauen gegenüber ausländischen Verwahrern, zunehmende geopolitische Spannungen, die damalige Krise der türkischen Lira und den Wunsch, die Abhängigkeit vom US-Dollar zu verringern, zurückzuführen war. In diesem Zeitraum erhöhte die CBRT ihre inländischen Goldreserven um mehr als 200 t und verlagerte das Gold an die Borsa Istanbul, während türkische Geschäftsbanken wie die Halk Bank, die Ziraat und die VakıfBank ebenfalls mehr als 120 t Gold von der Bank of England an die Borsa Istanbul transferierten, was die damalige Politik der türkischen Regierung widerspiegelt. Diese Geschäftsbanken und die Borsa Istanbul befinden sich über den türkischen Staatsfonds Türkiye Wealth Fund (TVF) alle mehrheitlich im Besitz der türkischen Regierung.
Indien: 215 t
Zwischen Anfang 2022 und Ende 2024 repatriierte die Reserve Bank of India (RBI), diskret 215 t Gold von der Bank of England in London und lagerte dieses Gold in ihre Tresore in Nagpur und Mumbai ein. Diese Goldtransporte, die erst im halbjährlich erscheinenden „Report on Foreign Exchange Reserves“ der RBI öffentlich wurden, begannen kurz nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges im Februar 2022 und deuten darauf hin, dass die Entscheidung der RBI eine Reaktion auf die erhöhten Sanktionsrisiken waren. Das ist insofern bedeutend, als dass Indien ein BRICS-Gründungsmitglied ist. Die RBI verwaltet die achtgrößten staatlichen Goldreserven und hält derzeit 510 t Gold im Inland, was 58% des Gesamtbestands entspricht.
Gescheiterte Versuche der Goldrepatriierung
Neben vielen erfolgreichen Goldrepatriierungsaktionen gab es auch Misserfolge, die vor allem auf den Widerstand der Politik und der Zentralbanken zurückzuführen sind. In der Schweiz, Rumänien und der Slowakei scheiterten einschlägige Initiativen.
In der Schweiz führte die von der Schweizerischen Volkspartei (SVP) organisierte Volksinitiative „Rettet unser Schweizer Gold“ (2013–2014) zu einem Volksentscheid, der die Schweizerische Nationalbank (SNB) zwingen sollte, ihr gesamtes Gold im Inland zu lagern, mindestens 20% ihrer Vermögenswerte in Gold zu halten und Goldverkäufe zu verbieten. Zu diesem Zeitpunkt verfügte die SNB über 1.040 t Gold, von denen 70% in Bern, 20% in London und 10% in Ottawa gelagert waren. Das Referendum scheiterte jedoch deutlich, zum Teil aufgrund der Bündelung von drei Vorschlägen in einer einzigen Abstimmung, aber auch aufgrund des aktiven Widerstands und der Einmischung der normalerweise unpolitischen SNB und ihres damaligen Vorsitzenden Thomas Jordan.
Nach der Repatriierung von 30 t Gold durch Ungarn im Jahr 2018 gab es auch in Rumänien Bestrebungen zur Repatriierung von Gold. Die hochrangigen rumänischen Politiker Liviu Dragnea und Serban Nicolae von der damals regierenden Sozialdemokratischen Partei (PSD) schlugen 2019 einen Gesetzentwurf zur Repatriierung von 60 t des bei der Bank of England gelagerten rumänischen Goldes vor. Trotz des anfänglichen Erfolges, als beide gesetzgebenden Kammern – die Abgeordnetenkammer und der Senat – den Gesetzentwurf verabschiedeten, widersetzten sich die Rumänische Nationalbank (NBR) und ihr Gouverneur Mugur Isarescu vehement. Sie argumentierten mit fragwürdigen Behauptungen, dass die Lagerung von Gold im Ausland für die finanzielle Stabilität unerlässlich sei. Die oppositionelle Nationalliberale Partei (PNL), die ebenfalls gegen die Repatriierung war, rief das Verfassungsgericht an, das das Gesetz für verfassungskonform erklärte. Nach einem Regierungswechsel im Jahr 2019, bei dem die PSD die Macht verlor und die PNL an die Macht kam, legte der rumänische Präsident, der ebenfalls auf Seiten der Zentralbank stand, sein Veto gegen das Gesetz ein und schickte es zur Ablehnung zurück ins Parlament. Dies führte dazu, dass der Gesetzesentwurf auf Eis gelegt wurde und das rumänische Gold in London blieb.
In der Slowakei setzte sich Robert Fico, der seit 2023 slowakischer Ministerpräsident ist, aber Ende 2019 der Opposition angehörte, unter Verweis auf Risiken infolge des Brexits und finanzielle Instabilität dafür ein, dass das slowakische Gold aus London zurückgeführt wird. Zu dieser Zeit wurden 31,5 t Gold der slowakischen Zentralbank, der Národná Banka Slovenska (NBS), bei der Bank of England gelagert. Ein parlamentarischer Antrag, die Repatriierung zu diskutieren, scheiterte jedoch. Per Dezember 2023 befand sich fast das gesamte slowakische Gold weiterhin in London. Mit der Rückkehr Ficos an die Macht könnte das Thema jedoch wieder in den Vordergrund rücken.
Diese Fälle zeigen, wie politischer Widerstand, der Einfluss der Zentralbank und institutionelle Widerstände die Bemühungen um die Repatriierung von Gold trotz öffentlicher und politischer Unterstützung oft behindern.
China und Russland
Abschließend noch ein Wort zu zwei der größten Goldeigentümer der Welt, China und Russland. Die People’s Bank of China kauft regelmäßig Gold, vor allem in London, und transportiert es umgehend nach China. Da sowohl die Ankäufe als auch der Transport geheim sind, werden sie nicht als Goldrepatriierungsvorgänge eingestuft. Tatsächlich sind sie es aber und schützen das Gold der PBoC gegen das Sanktionsrisiko.
Auch die russische Zentralbank hat die Risiken von Sanktionen sehr gut erkannt und ihre Goldreserven kontinuierlich von 400 t im Jahr 2007 auf heute über 2.300 t aufgestockt. Durch die Anhäufung von Gold aus inländischer Produktion und dessen ausschließliche Lagerung in Moskau und St. Petersburg hat sich Russland strategisch auf geopolitische Bedrohungen vorbereitet und sichergestellt, dass seine Goldbestände auch vor westlichen Sanktionen geschützt sind.
Was die Tresordaten der Bank of England sagen
Als Goldverwahrer für Zentralbank- und Geschäftsbankkunden veröffentlicht die Bank of England zum Monatsende Daten zum Gesamtgoldbestand in ihren Londoner Tresoren. Die monatlichen Veränderungen in den Daten zeigen daher die Zu- und Abgänge aus den Tresoren und spiegeln allgemeine Trends im Laufe der Zeit wider.
Aus den Daten lassen sich folgende Trends ableiten: Von August 2011 bis Jänner 2012, d. h. von der Ankündigung Venezuelas bis zum Abschluss der Repatriierung von 160 t Gold, flossen beachtliche 434 t Gold aus den Tresoren der Bank of England ab, was darauf hindeutet, dass die Maßnahmen Venezuelas andere Zentralbanken wahrscheinlich dazu veranlassten, ihrem Beispiel zu folgen und in diesem Zeitraum Gold aus London abzuziehen.
Von März 2013 bis März 2016, also in der Zeit zwischen der Ankündigung der Goldrepatriierung durch die Bundesbank im Jänner 2013, der niederländischen Goldrepatriierung 2014 und der Ankündigung der Repatriierung durch Österreich im Mai 2015, kam es in den Tresoren der Bank of England jeden Monat zu Goldabflüssen, die sich insgesamt auf 1.557 t beliefen. Dieser sehr große Abfluss deutet darauf hin, dass andere Zentralbanken die Folgen des deutschen, niederländischen und österreichischen Verhaltens verstanden und ebenfalls beschlossen haben, Gold aus westlichen Verwahrstellen abzuziehen, allerdings im geheim.
2018 verzeichnete die Bank of England einen Nettoabfluss von 282 t Gold, was höchstwahrscheinlich auf umfangreiche Repatriierungen durch die türkische Zentralbank, türkische Geschäftsbanken und die erste Phase des ungarischen Goldtransfers zurückzuführen ist. Zwischen April und Juni 2019 flossen weitere 98 t ab, zeitgleich mit der Verlagerung des Goldes der polnischen Zentralbank in einen G4S-Tresor in der Nähe von Heathrow.
Ausgelöst durch den Ausbruch des Ukraine-Krieges wurden von Jänner 2022 bis März 2023 jeden Monat Goldabflüssen verzeichnet, insgesamt summierten sich der Nettoverlust in diesem Zeitraum auf 574 t. Dies steht im Einklang mit den Zentralbanken, die erhöhte geopolitische Risiken und Sanktionen wahrnehmen und aus diesem Grund wahrscheinlich Gold repatriieren. In den sechs Monaten von April bis September 2023 kam es zu Goldabflüssen von 73 t, was sich nahezu perfekt mit der Goldrepatriierung von 71 t durch die Reserve Bank of India in diesem Zeitraum deckt.
Goldbestand der BOE, in Tausend Unzen, 01/2011–03/2025
Quelle: BOE, Incrementum AG
Fazit – Nicht meine Tresorschlüssel, nicht mein Gold
Die Repatriierung von Gold durch die Zentralbanken ist inzwischen ein etablierter Trend, der weiter an Dynamik gewinnt, wie zahlreiche Zentralbank-Umfragen belegen. Das Einfrieren der russischen Devisenreserven durch den Westen scheint ein entscheidender Moment gewesen zu sein, der viele Zentralbanken der Welt aufrüttelte und sie dazu veranlasste, die Risken der Goldlagerung im Ausland neu zu bewerten.
Die Gründe für die Repatriierung von Gold sind vielfältig. Sie reichen von der Erleichterung von Audits über die Verringerung der Abhängigkeit von ausländischen Verwahrern bis hin zur Minderung des Sanktionsrisikos und der Stärkung der wirtschaftlichen Souveränität. Die Repatriierung von Gold ist auch Ausdruck des schwindenden Vertrauens der Zentralbanken untereinander und in das globale Finanzsystem sowie des Versuchs der Zentralbanken, angesichts der neuen geopolitischen Realitäten neue sichere Häfen zu finden.
Die Repatriierung von Gold ist viel mehr als nur eine logistische Maßnahme; sie ist eine starke Botschaft der Zentralbanken, dass sie ihre Souveränität über ihr nationales Vermögen tatsächlich ausüben wollen, als Folge der Vertrauenserosion in die traditionellen Lagerorte in der City of London und Manhattan.