1970er, 2000er, 2020er…: Ein Déjà-vu in zwei Akten – zweiter Akt
„The chase is better than the catch.“
H.P. Baxxter
Goldene Aussichten für eine Fortsetzung des Bullenmarkts: Zahlreiche enantiodromische Entwicklungen schaffen ein Umfeld geprägt von Unsicherheit, Volatilität und Vertrauensverlust, das Gold begünstigt. Was für das klassische 60/40-Portfolio zur Belastungsprobe wird, ist für Gold die ideale Bühne seiner relativen Stärke.
Ein Blick in die Vergangenheit unterstreicht das Potenzial der kommenden Jahre: Sowohl in den 1970er- als auch in den 2000er-Jahren konnte sich der Goldpreis nach der ersten Dekadenhälfte jeweils vervielfachen.
Insbesondere Performance-Gold in Form von Silber und Goldminenaktien könnte im Fahrwasser von Gold überproportional profitieren und neben Gold zum Big Long der zweiten Dekadenhälfte avancieren.
Das bislang moderate Abschneiden des Rohstoffsektors in der aktuellen Dekade eröffnet Spielraum, vor allem, wenn sich strukturelle Engpässe, geopolitische Fragmentierung und Investitionszurückhaltung weiter zuspitzen.
Nach der jüngsten Rally nähert sich das 2020 ausgerufene Dekaden-Ziel von 4.800 USD im Basisszenario mit rasanter Geschwindigkeit. Je nach makroökonomischer Entwicklung dürfte sich der Goldpreis bis Dekadenende in einem Korridor zwischen 4.800 und 8.900 USD – dem inflationären Szenario – einpendeln.
Das neue 60/40-Portfolio konnte das alte 60/40-Portfolio seit der Veröffentlichung des letztjährigen In Gold We Trust-Reports deutlich outperformen. Die aktuellen Rahmenbedingungen lassen erwarten, dass diese Entwicklung auch künftig Bestand haben dürfte.
Der Enantiodromie-Moment von Gold
Die Geschichte lehrt uns mit leiser, aber eindringlicher Stimme: Wo Extreme herrschen, wächst das Potenzial zur Umkehr. Zustände, die überdehnt oder erschöpft sind, kippen in ihr Gegenteil. Dieses von Heraklit als „Enantiodromie“ benannte Prinzip zeigt sich heute in zahlreichen politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklungen. Wir erleben das Umschlagen eines alten Drehbuchs in ein neues Kapitel.
Globalisierung, einst der unaufhaltsame Pulsschlag der Weltwirtschaft, wird zunehmend vom Takt des Protektionismus überlagert. Paradebeispiel hierfür sind die neuen Zollbestimmungen der USA. So wird erwartet, dass der durchschnittliche Zollsatz auf US-Importe laut dem Yale Budget Lab mit 27% (Vor-Substitutions-Rate per 9. April) ein Niveau erreichen könnte, das zuletzt vor über 100 Jahren zu beobachten war. Die Berechnungen sind allerdings mit Vorsicht zu genießen, da sowohl eine Rücknahme der angekündigten und verzögerten Zölle als auch die Einführung neuer Handelsbarrieren nicht auszuschließen ist. Die Nach-Substitutions-Rate, also jene Rate, die nach geschätzten Substitutionseffekten realisiert werden würde, liegt per 9. April laut Berechnungen des Yale Budget Labs bei 18,54%.
Durchschnittlicher US-Zollsatz auf gesamte Importe und zollpflichtige Importe, 1821–2025e*
Quelle: Douglas A. Irwin, Tax Foundation, Yale University The Budget Lab, Incrementum AG
*Prognose für 2025 berücksichtigt die bis zum 9. April angekündigten Zölle.
Im selben Atemzug ist festzuhalten, dass die USA bis zuletzt zu den westlichen Ländern mit den niedrigsten durchschnittlichen Importzöllen zählten. Insofern lässt sich die Neuausrichtung der Handelspolitik auf den ersten Blick zumindest teilweise als Versuch einer reziproken Politik deuten. Allerdings greift dieser Gedanke in der Realität nur bedingt: Die neuen Maßnahmen schießen deutlich über das Ziel hinaus und orientieren sich nicht an den tatsächlichen Zollsätzen anderer Nationen, sondern nehmen das amerikanische Handelsbilanzdefizit als politischen Maßstab. Damit wird Reziprozität weniger zum Ausgleichsmechanismus, sondern zur Begründung einer weitreichenden, strukturell aggressiveren Handelspolitik.
Durchschnittliche Zollsätze der USA und ihrer 15 wichtigsten Handelspartner, 2024
Quelle: David Lawder, WTO, Incrementum AG
Anhand dieses Charts lässt sich ablesen, dass die US-Importzölle für die größten 15 US-Handelspartner vor dem Liberation Day am 2. April fast ausnahmslos niedriger waren als die Zölle für Importe aus den USA, sowohl beim einfachen Durchschnitt (3,3%) als auch beim handelsgewichteten Durchschnitt (2,2%). Somit waren die USA im Schnitt offener für Importe als die meisten anderen großen Volkswirtschaften. Wichtig ist hierbei anzumerken, dass es sich um die Zollsätze im Rahmen der Meistbegünstigungsklausel handelt, also um die regulären WTO-Zollsätze, nicht um die tatsächlich geltenden, bilateralen Zölle. Letztere liegen im Falle bestehender Freihandelsabkommen, etwa mit Kanada und Mexiko, für die erfassten Produktgruppen faktisch bei null.
Das makroökonomische Klima ist im Begriff sich tiefgreifend zu verändern, während die Furcht vor Deflation, die wie ein Schatten über Jahrzehnten der Geldpolitik lag, für die Realität einer neuen Inflationsvolatilität Platz macht, selbst im sonst so strukturell deflationsgeplagten Japan.
CPI Japan, yoy%, 01/2000–03/2025
Quelle: LSEG, Incrementum AG
Nicht nur das Niveau, sondern auch die Dauer der Inflation ist historisch. Seit nunmehr 36 aufeinanderfolgenden Monaten bewegt sich die CPI-Inflationsrate Japans über der 2%-Marke – die längste Phase seit über 40 Jahren.
Das finanzielle und geldpolitische Gefüge bleibt von der sich selbst regulierenden Erschöpfung nicht unberührt. Wo lange Zentralisierung und Regulierung dominierten, regt sich nun das Pendel zur Dezentralisierung. Das zeigt sich in der digitalen Revolution von Bitcoin & Co., aber auch in politischen Debatten um nationale Souveränität und die Entschlackung des Staatsapparates. Als prominentestes Beispiel dieser Entwicklung gilt das „Departement of Government Efficiency“ (DOGE), dessen erklärtes Ziel es ist, den Bürokratieabbau in den USA maßgeblich voranzutreiben. Dass sich dieser Wandel der politischen Grundhaltung nicht auf die USA beschränkt, zeigt ein Blick nach Argentinien: Dort verfolgt Präsident Javier Milei einen vergleichbaren Kurs, allerdings mit deutlich strengeren Zügeln und mit einer ideologisch kompromissloseren Rhetorik. Und sogar Österreich hat nun mit Sepp Schellhorn gewissermaßen seinen „DOGE-Vater“, der als Staatssekretär die Bürokratie im Alleingang schrumpfen lassen soll, wobei davon auszugehen ist, dass der Erfolg dieses Vorhabens, dem einer Sonnenlicht-Diät bei The Notorious B.I.G. gleichen wird.
Gerade an den Finanzmärkten entfaltet die Enantiodromie ihre eigentümliche Dramatik. Märkte durchlaufen extreme Boom-Bust-Zyklen – von überbewerteten Tech-Aktien bis zu vernachlässigten Rohstoffen. Auf Zeiten geringer Volatilität folgen Phasen, in denen geopolitische Spannungen und Inflationsängste das Ruder übernehmen. Die Ära der Nullzinspolitik, genährt von unerschöpflich scheinender Liquidität, ist vorbei. Stattdessen erlebten wir zuletzt einen der rasantesten Zinswendezyklen der US-Geschichte.
Zinserhöhungszyklen der Fed, US-Leitzins, 1967–2023
Quelle: LSEG, Incrementum AG
Während Zentralbanken mit multipolaren Währungsarchitekturen experimentieren, wächst die Sehnsucht nach Stabilität. Der jahrzehntelange Vertrauensvorschuss für Papiergeld wird zusehends aufgezehrt. Und so tritt ein vermeintlich aus der Zeit gefallenes Gut zurück ins Licht und erlebt dadurch seine eigene Enantiodromie: Gold. Vom „unverzinsten Relikt“ zum ruhenden Pol im Sturm der Makro-Turbulenzen und ultimativer Wertspeicher für Investoren und Institutionen in einer Welt, die sich neu ordnet oder es zumindest versucht.
Im Bann der Unsicherheit
Die Vielzahl enantiodromischer Entwicklungen schafft ein Umfeld, das Gold in besonderer Weise begünstigt, denn das aktuelle Umfeld ist vor allem eines: geprägt von Unsicherheit. Inflationsängste, eine durch fiskalische Sorglosigkeit explodierende Schuldenlast, persistente geopolitische Spannungen und die regelmäßig wiederkehrende Furcht vor einer Rezession formen ein Klima, das für klassische Vermögenswerte einem Super-GAU gleichkommt. Nicht so für Gold. Was für das klassische 60/40-Portfolio eine Belastungsprobe darstellt, ist für Gold die ideale Bühne.
Es ist daher kaum verwunderlich – oder sollte es zumindest nicht sein –, dass sich Gold in dieser Dekade zur führenden Anlageklasse unter den großen Asset-Kategorien entwickelt hat. Seit 2020, als wir im In Gold We Trust-Report titelgebend den „Aufbruch in eine goldene Dekade“ postulierten, hat Gold nicht nur Immobilien oder den breiten Rohstoffmarkt übertroffen, sondern auch US-Staatsanleihen und sogar US-Aktien – und das selbst nach Berücksichtigung von Dividenden.
Gold, S&P 500 TR, BCOM TR, US 20Y-Index TR, und US National Home Price-Index, in USD, 100 = 31.12.2019, 01/2020–04/2025
Quelle: LSEG, Incrementum AG
Dennoch scheint es viele Marktteilnehmer auf dem falschen Fuß erwischt zu haben. Selbst der Kursverlauf der vergangenen 12 Monate überraschte zahlreiche institutionelle Investoren. Ein Blick auf die Prognosen der World Bank Group in ihrer Veröffentlichung des „Commodity Markets Outlook im April 2024“ unterstreicht dies: Für 2024 wurde ein durchschnittlicher Goldpreis von lediglich 2.100 USD erwartet, für 2025 sogar ein Rückgang auf 2.050 USD prognostiziert. Die Erwartungen in Bezug auf den Goldpreis waren also rückblickend ähnlich realitätsnahe wie der Zeit– und Budgetplan des Berliner Flughafens.
Ein verlässliches Maß für die Unsicherheit auf globaler Wirtschafts- und geopolitischer Ebene bieten der Economic Policy Uncertainty-Index und der Geopolitical Risk-Index. Die Kombination beider Indikatoren verdeutlicht: Das aktuelle Marktumfeld ist von außergewöhnlich hoher Unsicherheit geprägt, sowohl wirtschafts- als auch geopolitikgetrieben.
Global Economic Policy Uncertainty-Index, und Geopolitical Risk-Index, 100 = 01/1997 (log), 01/1997–03/2025
Quelle: Economic Policy Uncertainty, Incrementum AG
Monetärer Exodus
In einem System, das sich lange auf dauerhaft niedrige Zinsen und stetige Liquidität verlassen hat, droht die Enantiodromie zu einer systemischen Belastungsprobe zu werden. Aktuelle Daten der Universität Michigan zeigen, dass die Inflationserwartungen der Verbraucher für den April 2026 auf 6,5% gestiegen sind. Das ist ein markanter Anstieg gegenüber 2,8% per Jahresende 2025. Die langfristigen Erwartungen für die nächsten fünf Jahre kletterten auf 4,4%, den höchsten Wert seit den frühen 1990er–Jahren.
Inflationserwartungen in den USA (Median) für die nächsten 1 und 5 Jahre, 01/2010–04/2025
Quelle: LSEG, Incrementum AG
Auch wenn Umfragewerte und Prognosen zu makroökonomischen Kennzahlen stets mit Vorsicht zu interpretieren sind, zeichnet sich dennoch ein klares Bild ab: Die Wahrnehmung von Geldentwertung und die damit verbundene Unsicherheit sind derzeit tief im kollektiven Bewusstsein verankert und dürften entsprechend auch einen maßgeblichen Einfluss auf finanzielle Entscheidungen, insbesondere im Bereich der Geldveranlagung, ausüben.
Trotz zwischenzeitlicher Zinserhöhungen gelingt es der Federal Reserve bislang nicht, das Inflationsziel von 2% dauerhaft zu verankern. Langfristig befindet sich der PCE-Inflationspfad aktuell über dem von der Federal Reserve ausgesprochenen Durchschnittsziel von 2%. Die Notenbank befindet sich dadurch in einer misslichen Lage: Der Versuch, Stabilität über Jahre hinweg durch billiges Geld zu sichern, verkehrt nun in sein Gegenteil.
US-PCE-Index bei angenommener Zielinflation von 2 %, und Tatsächlicher US-PCE-Index, Q1/2000–Q1/2025
Quelle: LSEG, Incrementum AG
Gleichzeitig erreicht die US-Staatsverschuldung neue Rekordhöhen. Anfang März 2025 belief sie sich auf 36,56 Bill. USD oder rund 124% des BIP. Das rapide Schuldenwachstum erhöht die Zinsbelastung des Bundeshaushalts erheblich. Für das Haushaltsjahr 2024 betrugen die Zinszahlungen rund 1,1 Bill. USD, was etwa 16% der gesamten Staatsausgaben ausmachte.
Diese Entwicklungen setzen die Federal Reserve unter Druck, ihre Geldpolitik anzupassen. Steigende Inflationserwartungen könnten den Spielraum für Zinssenkungen einschränken, während die hohe Schuldenlast die fiskalpolitischen Handlungsmöglichkeiten limitiert. Gleichzeitig sitzt mit Donald Trump ein Präsident im Weißen Haus, der ein Befürworter niedriger Zinsen und eines schwachen US-Dollars ist und regelmäßig versucht, mit allen Mitteln in dem unabhängigen Entscheidungsprozess mitzumischen.
Eines steht jedenfalls fest: Der monetäre Exodus hat begonnen. Nicht als Panikflucht, sondern als rationaler Marsch, getragen von der Erkenntnis, dass Systeme sich nicht ewig gegen ihr inneres Gleichgewicht stemmen können. Wer den Wind wahrnimmt, bevor der Sturm losbricht, kann zeitgerecht die Segel entsprechend setzen: in Richtung Stabilität, in Richtung Substanz, in Richtung Gold.
Neues Playbook trifft altes Playbook
Lange Zeit folgte der Goldmarkt einer fast schon mechanischen Logik: Fielen die Realzinsen, stieg der Goldpreis; stiegen die Zinsen, geriet der Goldpreis unter Druck. Dieses „alte Playbook“ prägte das Verhalten westlicher Finanzinvestoren über Jahrzehnte hinweg. Was sich aktuell am Goldmarkt abzeichnet, geht über diese linearen Zusammenhänge hinaus. Die fundamentalen Veränderungen haben wir in „Das neue Gold-Playbook“ beschrieben.
Getrieben durch die Erwartung fallender Realzinsen und wachsender geopolitischer Unsicherheit steigen Kapitalzuflüsse westlicher Finanzinvestoren in physische Goldprodukte, ETFs und Futures-Positionen wieder deutlich an. Nach Jahren der Zurückhaltung beginnt der institutionelle Westen, seine strategische Goldallokation zu überdenken – und in weiterer Folge auszubauen.
So zeigen die jüngsten Daten des World Gold Council, dass bei den ETF-Zuflüssen in Q3/2024 erstmals seit Q1/2022 wieder Netto-Zuflüsse zu verzeichnen waren. Damit ergibt sich ein klarer Aufwärtstrend bei den aggregierten Netto-Zuflüssen aus Zentralbank-Nachfrage, die zuletzt vor allem durch die Nachfrage asiatischer Notenbanken gespeist wurde, und der westlich dominierten ETF-Nachfrage.
Zentralbank-, ETF-, und Netto-Gold-Flows, in Tonnen, Q1/2010–Q1/2025
Quelle: WGC, Incrementum AG
Gepaart mit der weiterhin konstanten Goldnachfrage aus dem Osten, die wir als eine der Schlüsselfaktoren des neuen Gold-Playbooks im In Gold We Trust-Report 2024 beschrieben haben, dürfte es durch die Rückkehr der westlichen Goldinvestoren auf der Nachfrageseite künftig so lebhaft zugehen wie in der ersten Reihe eines Taylor-Swift-Konzerts, wenngleich man am Goldmarkt weniger auf Glitzer und Fangirls trifft, sondern tendenziell auf sterile Notenbanker und graumelierte Vermögensverwalter.
Gold bei 4.800 USD – Bestimmung oder Illusion?
Die Geschichte wiederholt sich – zumindest in Teilen. Diese Nachricht dürfte Gold-Anleger aktuell erfreuen: Gemeint ist das Déjà-vu einer „goldenen Dekade“, wie wir sie bereits in den 1970er- und 2000er-Jahren erlebt haben. Bereits im Jahr 2020, zu Beginn der aktuellen Dekade, hatten wir auf die zunehmenden Anzeichen hingewiesen, dass Gold erneut vor einem strukturellen Aufschwung stehen könnte, als wir im In Gold We Trust-Report „Aufbruch in eine goldene Dekade“ schrieben:
„So unangenehm die Dynamiken im Allgemeinen sind, für Gold könnten die Voraussetzungen besser nicht sein: massiv überschuldete Volkswirtschaften, welche als letzten Ausweg die Entwertung ihrer Währungen zur Finanzierung der Defizite heranziehen. Wir vertreten aus diesem und einer Reihe anderer Gründe mit breiter Brust die Ansicht, dass wir uns im ‚Aufbruch in eine goldene Dekade‘ befinden.“
Nun, zur Halbzeit der 2020er-Jahre, zeigt sich: Unsere Einschätzung war berechtigt. Der Goldpreis hat sich in US-Dollar seither mehr als verdoppelt und in sämtlichen Währungen zahlreiche neue Allzeithochs markiert.
Gold, in USD, und neue Allzeithoch-Schlusskurse, 01/1970–04/2025
Quelle: 3Fourteen Research, World Gold Council, LSEG, Incrementum AG
Dass der aktuelle Gold-Bullenmarkt womöglich noch weit von seinem Ende entfernt ist, lässt sich aus dem oberen Chart ablesen, der alle täglichen Gold-Allzeithochs in US-Dollar auf Schlusskursbasis darstellt. Mit Stichtag 30. April 2025 zählt Gold bereits 76 neue Allzeithochs seit Beginn der goldenen Dekade. Zum Vergleich: Im Bullenmarkt der 1970er-Jahre waren es 209 neue Höchststände, in jenem der 2000er-Jahre immerhin 106. Ein Blick auf diese Relationen legt nahe: Der aktuelle Zyklus könnte sein Potenzial noch längst nicht ausgeschöpft haben.
Sowohl das Marktumfeld als auch das Sentiment erscheinen heute noch vorteilhafter als zu Beginn der Dekade – ein Fundament, das den Weg für den zweiten Akt dieser goldenen Phase ebnen könnte. Gold steht damit im Begriff, sich als strategisches Big Long der kommenden Jahre zu etablieren. Ob sich das Déjà-vu fortsetzen wird und wenn ja, mit welchem Goldpreis am Ende dieser goldenen Dekade zu rechnen sein wird, werden wir im Laufe des Kapitels versuchen zu beantworten.
In diesem Zusammenhang werden wir unser im In Gold We Trust-Report 2020 vorgestelltes Incrementum Goldpreismodell als Bewertungsmaßstab heranziehen und eine Aktualisierung unseres damals formulierten Basisszenarios mit einem Zielpreis von 4.800 USD bis zum Ende dieser Dekade vornehmen.
Im weiteren Verlauf dieser Analyse richten wir den Blick jedoch zunächst in die Vergangenheit: Welche Parallelen und Unterschiede lassen sich zwischen den Goldbullenmärkten der 1970er- und 2000er-Jahre und dem aktuellen Zyklus erkennen? Wie sah das jeweilige ökonomische und politische Umfeld aus? Und wie entwickelte sich der Goldpreis unter vergleichbaren Rahmenbedingungen? Darüber hinaus beleuchten wir die Dynamik von Performance-Gold, also Silber, und Minenaktien sowie Rohstoffen im Dekadenvergleich, um zu analysieren, ob nicht auch sie das Potenzial besitzen, zu den „Big Longs“ der zweiten Dekadenhälfte zu avancieren.
Goldbullenmarkt: damals wie heute!?
Jede der goldenen Dekaden war von markanten makroökonomischen Entwicklungen geprägt. Insbesondere Inflation und Zinsen, die Geldmengenentwicklung sowie allgemeine Konjunkturtrends spielten eine zentrale Rolle für den Goldpreis. Um einen geordneten Überblick zu gewinnen, analysieren wir nachfolgend die fünf für den Goldpreis bedeutendsten makroökonomischen Faktoren: Inflation, M2-Geldmengenwachstum, Schuldenentwicklung, Realzinsen und das reale BIP-Wachstum.
Der Fokus unserer Analyse liegt auf den USA, da hier die beste Datenverfügbarkeit und statistische Vergleichbarkeit gegeben ist. Dennoch waren die historischen Goldbullenmärkte keineswegs auf die USA beschränkt, sondern entfalteten ihre Wirkung global. In den 1970er-Jahren litten zahlreiche Länder unter hoher Inflation und Währungsturbulenzen. In diesen Jahren verzeichnete Gold in nahezu allen Landeswährungen deutliche Preissteigerungen. Auch während der 2000er-Jahre war die Goldhausse weltweit sichtbar, selbst wenn die Aufwertung in Euro, Pfund & Co. durch die Dollarabwertung phasenweise etwas gedämpft wurde.
Der aktuelle Bullenmarkt reiht sich nahtlos in dieses Muster ein: Gold erreichte in sämtlichen Währungen neue Allzeithochs. Ein starkes Indiz dafür, dass die zugrunde liegenden Treiber – Pandemie, Inflation, Überschuldung und geopolitische Spannungen – globaler Natur sind und den Goldpreis nicht nur regional, sondern weltweit beeinflussen.
Inflation
Die 1970er-Jahre waren geprägt von der „Great Inflation“, einer langanhaltenden Phase hoher Teuerungsraten. Nach dem ersten Ölpreisschock im Jahr 1973 stieg die Inflation in den zweistelligen Bereich. In den USA lag sie über mehrere Jahre hinweg bei über 10% und erreichte im März 1980 mit 14,8% ihren Höhepunkt und damit den höchsten Wert der Nachkriegszeit.
In den 2000er-Jahren war die Inflation demgegenüber moderat. Getragen von Globalisierung, technologischer Effizienzsteigerung und disziplinierter Geldpolitik pendelte sich die Inflationsrate in den USA meist zwischen 2 und 3% ein. Erst im Zuge des Rohstoffbooms Mitte der 2000er-Jahre kam es zu einem moderaten Anstieg, bei dem die Inflation mit 5–6% im Sommer 2008 ihren höchsten Stand seit den 1990er-Jahren erreichte. Nach der globalen Finanzkrise rutschte die Inflationsrate allerdings sogar kurz in den deflationären Bereich.
Die 2020er erlebten ein Comeback der Inflation: Anfangs noch als „vorübergehend“ abgetan, schnellte die Teuerung 2021/22 infolge von Lieferkettenproblemen, pandemiebedingten Nachholeffekten und massivem Stimulus auf den höchsten Stand seit 40 Jahren. In den USA wurden im Juni 2022 9,1% erreicht, was den kräftigsten Preisanstieg seit 1981 bedeutete. Und auch in Europa lagen die Inflationsraten 2022/23 zeitweise im Bereich von 10%.
US-CPI, 100 = Dekadenbeginn, 12/1969–03/2025
Quelle: LSEG, Incrementum AG
Betrachtet man den bisherigen Verlauf der 2020er-Jahre im Kontext des Dekadenvergleichs, so zeigt sich ein bemerkenswertes Muster: Zwischenzeitlich lag die kumulierte Geldentwertung in der laufenden Dekade sogar über jener der 1970er-Jahre – also jenem Jahrzehnt, das gemeinhin als Synonym für Inflation gilt. Zur Halbzeit der Dekade bewegt sich die kumulierte Inflation nun zwischen dem Niveau der 1970er- und jenem der 2000er-Jahre. Auffällig ist: In beiden historischen Vergleichszeiträumen war die zweite Dekadenhälfte inflationsreicher als die erste, sei es durch geopolitische Schocks, Rohstoffengpässe oder fiskalische Impulse.
Nachdem die Inflation zuletzt merklich zurückgegangen ist, bleiben die Kerninflationsraten auf hartnäckig erhöhtem Niveau und werfen die Frage auf, ob sich die Inflation ähnlich wie in den 1970er-Jahren „festfressen“ könnte. Aktuell sprechen mehrere Entwicklungen dafür, dass sich dieses Muster wiederholen könnte:
- Geopolitische Spannungen nehmen von anhaltenden Konflikten in Osteuropa und Nahost bis hin zur wachsenden Rivalität zwischen den USA und China weiter zu.
- Reindustrialisierung und Deglobalisierung führen zu steigenden Produktionskosten und struktureller Angebotsverknappung.
- Die Lohn-Preis-Spirale gewinnt an Dynamik: In den USA, aber auch in Europa steigen Tarifabschlüsse deutlich, während Unternehmen höhere Kosten zunehmend weitergeben.
- Energiepreise bleiben volatil, nicht zuletzt durch Investitionszurückhaltung im fossilen Sektor und Unsicherheiten in der globalen Energiearchitektur.
- Wachstumsorientierte Fiskalpolitik in vielen Industrieländern, die trotz hoher Schuldenstände neue Ausgabenprogramme auflegt, etwa im Verteidigungs-, Energie- und Sozialbereich.
- Steigender politischer Druck auf Zentralbanken, Zinsen zu senken, bevor die Inflation vollständig eingedämmt ist.
Geldmengenwachstum
Hinter der Inflation steht auch die Entwicklung der Geldmenge und der Verschuldung. In den 1970er-Jahren wuchs die Geldmenge deutlich, nicht zuletzt durch die Finanzierung von Vietnamkrieg und Sozialprogrammen sowie die Abkehr vom Goldstandard (die eine weniger gebundene Geldschöpfung ermöglichte). Dennoch waren die Zuwächse von ca. 10–12% jährlich nicht so außergewöhnlich wie jene, die wir zu Beginn der 2020er-Dekade gesehen haben. Die Jahre 2020/21 verzeichneten historische Rekorde: M2 in den USA wuchs zeitweise um 27% gegenüber dem Vorjahr – schneller als jemals in den inflationsgetriebenen 70er-Jahren oder unter QE1-3.
Dieser beispiellose Liquiditätsschub zeigte sich nicht nur in den USA, sondern auch in vielen anderen Ländern und legte den Grundstein für die darauffolgende Inflationswelle. Im Jahr 2022 kam es dann zur historischen Zäsur: Die US-Geldmenge schrumpfte erstmals seit den 1950er-Jahren. Zur Halbzeit der Dekade liegt das kumulierte Wachstum der Geldmenge seit 2020 damit in etwa auf dem Niveau der 2000er-Jahre – trotz des massiven Anstiegs zu Beginn.
US-M2, 100 = Dekadenbeginn, 12/1969–03/2025
Quelle: LSEG, Incrementum AG
Die 2000er-Jahre erlebten anfänglich moderate Geldmengensteigerungen. Erst mit den QE-Programmen nach 2008 beschleunigte sich das Geldmengenwachstum etwas.
Schuldenentwicklung
Die 1970er-Jahre begannen mit vergleichsweise niedrigen Schuldenquoten – die US-Staatsverschuldung lag bei rund 35% des BIP. Zwar entwertete die hohe Inflation die bestehenden Schulden real, doch zugleich stiegen die Zinskosten signifikant. Wie im folgenden Chart ersichtlich ist, entlud sich die Schuldenbombe ab Mitte der Dekade, als die US-Regierung auf ein stagnierendes Wirtschaftswachstum (Stagflation), strukturell hohe Arbeitslosigkeit und steigende Verteidigungsausgaben unter Präsident Carter mit expansiver Fiskalpolitik reagierte. Auch die massiven Zinsanhebungen unter Paul Volcker zur Eindämmung der Inflation trugen über die gestiegenen Finanzierungskosten zur Schuldenausweitung bei.
US-Verschuldung, 100 = Dekadenbeginn, 12/1969–03/2025
Quelle: LSEG, Incrementum AG
In den 2000er-Jahren hingegen stieg die Verschuldung bis zur globalen Finanzkrise 2007/08 relativ stetig an, bevor sie dann infolge der Rettungspakete und Konjunkturprogramme regelrecht explodierte.
In den 2020er-Jahren jedoch erlebten wir die Schuldenexplosion bereits ganz zu Beginn der Dekade: getrieben durch einen historisch beispiellosen fiskalischen Stimulus im Zuge der COVID-19-Pandemie, verbunden mit Notfallprogrammen, Helikoptergeld und massiven Staatsausgaben. Damit liegt die Schuldenentwicklung der laufenden Dekade bereits deutlich über dem Niveau der 1970er- und 2000er-Jahre zur jeweiligen Halbzeit. Auffällig ist zudem: In beiden vorangegangenen Dekaden nahm die Verschuldung in der zweiten Hälfte etwa doppelt so stark zu wie in der ersten – ein Muster, das sich auch in der laufenden Dekade fortsetzen könnte?
Realzinsen
In allen betrachteten Perioden waren die Realrenditen über weite Strecken nur knapp positiv oder sogar negativ. In den 1970er-Jahren fraß die zweistellige Inflation in der zweiten Dekadenhälfte die reale Rendite festverzinslicher Anlagen regelrecht auf. Auch in den 2000er-Jahren fielen die realen Wertzuwächse für Sparer äußerst mager aus – selbst wenn moderate Inflationsraten und eine vergleichsweise gemäßigte Geldpolitik bis zur Weltfinanzkrise 2007/08 für eine Zeit lang für stabile Verhältnisse sorgten.
Zu Beginn der aktuellen Dekade waren die Realzinsen infolge der Inflationswelle bei gleichzeitig anhaltend niedrigem Zinsniveau tief negativ – zeitweise zwischen -5 und -7%. Ein solches Umfeld gilt in der Marktlogik nicht ohne Grund als „Raketentreibstoff“ für Gold.
Das zeigt auch die nachfolgende Grafik anhand der Entwicklung des US-Realzins-Index, normiert auf 100 zu Beginn jeder Dekade. In der ersten Hälfte der 2020er-Dekade fiel der Realzinsindex um rund 8%, während die reale Verzinsung in der ersten Hälfte der 1970er– und 2000er-Jahre knapp positive Renditen brachte. Damit markiert die aktuelle Dekade bislang die deutlich negativste Realzinsphase im historischen Vergleich.
US-Realzins-Index, 100 = Dekadenbeginn, 12/1969–03/2025
Quelle: LSEG, Incrementum AG
In den späten 1970er-Jahren gelang es den Zentralbanken, allen voran der Fed unter Paul Volcker, die Zinsen schließlich deutlich über die Inflationsrate anzuheben. Allerdings um den Preis einer tiefen Rezession. In den 2020er-Jahren ist dieser geldpolitische Spielraum deutlich eingeschränkter: Die stark gestiegene Verschuldung sowie die hohe Anfälligkeit der Finanzmärkte machen starke Zinsanhebungen riskanter.
Reales BIP-Wachstum
Die 1970er-Jahre gelten als wirtschaftlich verlorenes Jahrzehnt: Mehrere Rezessionen, hohe Inflation und strukturelle Wachstumsschwäche führten zu Stagflation. Auslöser waren unter anderem die Ölpreisschocks 1973 und 1979, eine ineffiziente Angebotsseite sowie politische Unsicherheit. Das reale BIP wuchs in der ersten Dekadenhälfte zwar um 14%, jedoch mit starker Volatilität. Die zweite Hälfte brachte mit 21% realem Wachstum eine dynamischere Entwicklung – allerdings unter erheblichem Inflations- und Zinsdruck.
Die 2000er-Jahre begannen mit stabilem globalem Wachstum, begünstigt durch Technologisierung, eine moderate Zinspolitik und den wirtschaftlichen Aufstieg Chinas. Der Rohstoffsektor florierte, Gold profitierte. In der ersten Hälfte der Dekade wuchs das reale US-BIP um 13%, bevor die Finanzkrise 2007/08 das kumulierte Wachstum in der zweiten Hälfte auf 5% einbrechen ließ.
Die 2020er-Jahre zeigen bislang ein hybrides Bild: Auf den pandemiebedingten Einbruch folgte eine kräftige Erholung durch fiskalischen und monetären Stimulus – mit Überhitzungseffekten, Lieferengpässen und Inflationsdruck. Inzwischen mehren sich Anzeichen einer erneuten Abschwächung. Das kumulierte, reale BIP-Wachstum liegt in der ersten Hälfte bei 12% etwas unter dem Niveau der Vergleichszeiträume.
Reales US-BIP, 100 = Dekadenbeginn, Q4/1969–Q1/2025
Quelle: LSEG, Incrementum AG
Während die 1970er und 2000er in der zweiten Hälfte jeweils starke konjunkturelle Gegensätze aufwiesen – die 1970er mit einem Aufschwung unter Inflationsstress, die 2000er mit einem abrupten Absturz – bleibt für die 2020er offen, ob sich die zweite Hälfte als wachstumsstärker oder fragiler erweisen wird. Die Ausgangslage ist historisch einmalig: Hohe Verschuldung, geopolitische Unsicherheit, demografischer Gegenwind und eine geldpolitisch begrenzte Manövrierfähigkeit bilden ein Spannungsfeld, das den weiteren Dekadenverlauf maßgeblich prägen dürfte.
Im Wandel der Zeit: Weitere Prägungen dreier Dekaden
Neben den klassischen makroökonomischen Treibern wie Inflation, Geldmengenausweitung, Schuldenentwicklung, Realzinsen und Wirtschaftswachstum spielen weitere strukturelle und psychologische Faktoren eine wesentliche Rolle für die Dynamik der laufenden Golddekade:
1. Schocks und Krisen als Katalysatoren:
Jeder historische Goldbullenmarkt wurde von exogenen Schocks begleitet, die Gold als Krisenwährung aufwerteten. In den 1970er-Jahren waren es die Ölpreiskrisen, der Vietnamkrieg und die Spannungen des Kalten Krieges. Die 2000er-Jahre wurden geprägt von den Terroranschlägen am 11. September und der globalen Finanzkrise. In den 2020ern schließlich dominierten die Corona-Pandemie, der Ukrainekrieg und die zunehmende geopolitische Fragmentierung. In all diesen Phasen zeigte sich ein wiederkehrendes Muster: Gold profitiert vom Unsicherheitsmodus der Investoren – je größer das Misstrauen, desto stärker die Nachfrage nach stabilen Wertspeichern.
2. Vertrauensverluste im Geld- und Finanzsystem:
Jede Dekade war auch von einer Erschütterung des Vertrauens in das bestehende Währungssystem begleitet. In den 1970ern fiel die Entscheidung zur Aufhebung der US-Dollar-Goldbindung (1971), verbunden mit politischen Vertrauenskrisen. Die 2000er sahen Bankenkollapse, Lehman-Pleite und massive Rettungspakete durch Zentralbanken – die Begriffe „Nullzinsen“ und „Helikoptergeld“ wurden salonfähig. In den 2020ern erreichte die geldpolitische Expansion eine neue Qualität und Quantität: massives Gelddrucken in Friedenszeiten, explodierende Defizite und eine zunehmende Polarisierung und Dysfunktionalität politischer Institutionen. In allen Fällen wächst das Bedürfnis nach einer wertbeständigen, systemunabhängigen Reserve: Gold.
3. Marktreife und Anlegerzugang:
Auch die Struktur und Zugänglichkeit des Goldmarkts selbst hat sich über die Jahrzehnte stark verändert. In den 1970ern war der Goldmarkt nach jahrzehntelangem Verbot noch jung, illiquide und volatil. In den 2000ern wurde Gold zunehmend institutionalisiert, unter anderem durch die Einführung von ETFs wie dem SPDR Gold Shares (ab 2004), wodurch mehr Kapital in den Markt floss. In den 2020ern ist Gold weltweit rund um die Uhr handelbar, über Derivate, Online-Plattformen und digitale Anlageformen. Gleichzeitig konkurriert es heute mit Bitcoin, als digitales Gold, um die Rolle des alternativen Wertaufbewahrungsmittels. Das kann zu schnelleren Reaktionen führen – aber möglicherweise auch zu weniger explosiven Preisbewegungen, wie sie in den 1970ern noch möglich waren.
4. Zentralbanknachfrage:
Während Gold in früheren Dekaden oft gegen den Widerstand oder zumindest die Gleichgültigkeit der Zentralbanken steigen musste, wird es heute von einer zweiten Käuferfront unterstützt, die politisch motiviert, strategisch ausgerichtet und systemisch bedeutsam ist. Damit wird die Zentralbanknachfrage zu einem der entscheidenden strukturellen Unterschiede der laufenden Golddekade. Dieser Trend verleiht dem Goldmarkt ein völlig neues Fundament: Statt antizyklischer Verkäufe sehen wir heute strategische Akkumulation.
5. Rohstoffumfeld und Superzyklen:
Gold entwickelte sich in der Vergangenheit oft nicht isoliert, sondern im Kontext eines breiten Rohstoffbooms. In den 1970ern stiegen nicht nur Edelmetalle, sondern auch Öl, Industriemetalle und Agrarrohstoffe deutlich an, wodurch sich ein wahrer Inflations- und Rohstoffsuperzyklus bildete. Ähnlich verliefen die 2000er, angeführt vom chinesischen Wachstumswunder, das die weltweite Rohstoffnachfrage explodieren ließ. In den 2020ern hingegen ist das Bild uneinheitlich: Zwar kam es 2021/22 zu Preisrekorden bei Energie und Metallen, doch Nachfrageschocks, geopolitische Eingriffe und die Energiewende wirkten infolgedessen dämpfend. Sollte sich jedoch ein neuer, struktureller Rohstoffbullenmarkt etablieren – etwa durch Angebotsverknappung, Investitionszurückhaltung oder geopolitische Lagerbildung – könnte dies Gold erneut in einen inflationsgetriebenen Kollektivaufstieg mit anderen Rohstoffen katapultieren. Bleibt dieser jedoch aus, steht Gold unter den Hard Assets möglicherweise relativ allein auf weiter Flur.
The Big Long: Sicherheitsgold, Performance-Gold oder doch Rohstoffe?
Nach der fulminanten Rally der vergangenen zwölf Monate stellt sich im Austausch mit Investoren und Marktteilnehmern zunehmend die Frage: „Lohnt sich ein Einstieg in Gold noch, oder ist es dafür nicht bereits zu spät?“
Um dieser Frage nachzugehen, werfen wir im weiteren Verlauf einen Blick auf die Goldpreisentwicklung in der aktuellen Dekade und setzen sie in Relation zu den großen Goldhausse-Phasen der 1970er und 2000er. Ziel ist es, die bisherige Performance historisch einzuordnen und eine Einschätzung darüber zu gewinnen, welches Potenzial Gold in der zweiten Hälfte der laufenden Dekade unter Berücksichtigung der zuvor diskutierten makroökonomischen Einflussfaktoren noch entfalten könnte. Im Anschluss erweitern wir die Perspektive und analysieren, ob auch Silber, Goldminenaktien und Rohstoffe vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen das Potenzial besitzen, sich als Big Long der zweiten Dekadenhälfte zu entpuppen.
Gold
Die erste Hälfte der aktuellen Golddekade ähnelt in ihrer Dynamik auffallend jener der 2000er-Jahre. Die Performance der vergangenen fünf Jahre lag mit +73% dennoch deutlich über der damaligen Entwicklung von +52%. Im Vergleich dazu war die erste Dekadenhälfte der 1970er-Jahre mit einem Anstieg von 452% außergewöhnlich stark. Ausschlaggebend dafür waren neben einer drastischen Geldmengenausweitung und einer hohen Inflation vor allem die Liberalisierung des Goldmarkts, die dem Goldpreis neue Spielräume eröffnete.
Gold (log), in USD, 100 = Dekadenbeginn, 12/1969–04/2025
Quelle: LSEG, Incrementum AG
In der zweiten Hälfte der beiden vergangenen Goldbullenmärkte zeigte sich eine bemerkenswert ähnliche Preisdynamik: In den 1970ern stieg der Goldpreis um 162%, während er in den 2000er-Jahren um 150% zulegen konnte. Sollte sich der aktuelle Zyklus in ähnlicher Weise fortsetzen, würde der Goldpreis ausgehend von 2.624 USD zur Dekadenhalbzeit Ende Dezember 2024 bis zum Dekadenende auf etwa 6.800 USD steigen.
Die zwei vergangenen Goldhausse-Phasen erstreckten sich über grob ein Jahrzehnt und endeten in einem parabolischen Anstieg kurz nach dem Ende der Dekade. Dabei traten Zwischenphasen mit starken Korrekturen in den Jahren 1975–76, 2008 bzw. 2021 auf, ohne den übergeordneten Aufwärtstrend zu brechen. Im Fall des 1970er-Bullenmarktes wurde das Hoch lediglich drei Wochen nach Dekadenende erreicht. Diese drei Wochen hatten es jedoch in sich, denn der Goldpreis legte um weitere 63% zu. Im Bullenmarkt der 2000er-Jahre fiel das Plus nach Beendigung der Dekade mit 72% sogar noch positiver aus. Allerdings erstreckte sich der 2000er-Bullenmarkt noch bis September 2011. Sollte der Goldpreis nach Abschluss der 2020er-Dekade eine ähnliche Preisdynamik an den Tag legen, würde er sogar auf über 11.000 USD steigen.
Silber
Ein Blick auf die Silberpreisentwicklung in den drei großen Goldbullenmarkt-Dekaden zeigt ein wiederkehrendes Muster: Die stärkste Dynamik entfaltet sich typischerweise in der zweiten Dekadenhälfte, häufig begleitet von einem parabolischen Grande Finale.
In der ersten Hälfte der aktuellen Dekade konnte Silber um 65% zulegen und damit um deutlich mehr als in den 2000er-Jahren (26%). Die Dynamik in den 1970er-Jahren war deutlich ausgeprägter, in denen Silber bereits in den ersten fünf Jahren um 167% anstieg. Dieser solide, aber noch nicht explosive Verlauf lässt Raum für eine potenziell stärkere zweite Hälfte. Die historischen Vergleichswerte unterstreichen diese Perspektive: In der zweiten Dekadenhälfte stieg der Silberpreis in den 1970er-Jahren um beeindruckende 525%, in den 2000er-Jahren immerhin um 111%.
Silber (log), in USD, 100 = Dekadenbeginn, 12/1969–04/2025
Quelle: LSEG, LBMA, Incrementum AG
Bemerkenswert ist zudem der Blick auf das Geschehen nach dem offiziellen Dekadenende: In den 1970er-Jahren legte Silber in einer nur wenige Wochen andauernden Schlussphase um weitere 78% zu. In den 2000er-Jahren kam es nach dem Jahr 2010 sogar zu einem Anstieg von 185% bis zum zyklischen Hoch im Frühjahr 2011. Solche Überschussbewegungen sind typisch für späte Bullenmarktphasen und unterstreichen die Neigung von Silber zu extremen Ausschlägen in kurzer Zeit.
Sollte sich die weitere Preisentwicklung an den Verlauf der 2000er-Jahre anlehnen, würde Silber ausgehend vom Halbzeit-Schlusskurs von 28,87 USD bis zum Ende der Dekade auf rund 60 USD steigen und damit ein neues Allzeithoch erreichen. Inklusive eines vergleichbaren parabolischen Schlussspurts wie 2011 wäre sogar ein Anstieg auf etwa 170 USD denkbar. Orientiert man sich hingegen am deutlich dynamischeren Verlauf des 1970er-Bullenmarktes, läge das Preisniveau von Silber am Dekadenende bereits bei rund 180 USD und könnte bis zum Höhepunkt des Zyklus auf etwa 320 USD klettern. Diese historischen Vergleichswerte verdeutlichen das erhebliche Aufhol- und Ausbruchspotenzial, das Silber in einer fortgeschrittenen Phase eines Rohstoffzyklus entfalten kann.
Minenaktien
Ein Blick auf die Entwicklung der Goldminenaktien über die vergangenen drei großen Goldbullenmarkt-Dekaden zeigt teils stark differierende Phasen. Während die erste Dekadenhälfte der 1970er-Jahre mit einer Performance von +363% von einem Kursfeuerwerk geprägt war, legten die Minenaktien in den 2000er-Jahren immerhin um 191% zu. In der aktuellen Dekade hingegen verlief der Auftakt bislang deutlich verhaltener: Lediglich ein Plus von 17% steht zur Halbzeit zu Buche, was eine deutliche Underperformance gegenüber früheren Zyklen darstellt.
Goldminenaktien* (log), in USD, 100 = Dekadenbeginn, 12/1969–04/2025
Quelle: LSEG, Nick Laird, Incrementum AG
*BGMI 12/1969–05/1996, HUI 05/1996–
Die zweite Hälfte der beiden historischen Bullenmärkte war hingegen weniger dynamisch. In den 1970er-Jahren fiel der Zuwachs mit 17% überraschend gering aus, während die Minenaktien in den 2000er-Jahren immerhin um 89% zulegen konnten. Dies offenbart, dass eine starke erste Hälfte nicht zwangsläufig in einer ebenso starken Fortsetzung münden muss. Umgekehrt kann eine schwache erste Phase, wie derzeit, durchaus Raum für Nachholeffekte bieten.
Besonders auffällig ist die finale Phase nach dem offiziellen Dekadenende. In den 1970er-Jahren explodierten die Kurse um weitere 135%. In den 2000er-Jahren legten sie immerhin um 46% bis zum Hoch im Jahr 2011 zu. Diese späten Übertreibungen waren jeweils Ausdruck spekulativer Überlagerungen. Daraus lässt sich einmal mehr ableiten, dass die traditionell als zyklischer Hebel auf den Goldpreis geltenden Goldminenaktien oft verzögert reagieren, dann dafür aber überproportional.
Ausgehend vom Halbzeit-Schlusskurs des Gold–Bugs–Index (HUI) von 275 würde sich am Ende des Bullenmarktes auch für den Minenaktienindex ein neues Allzeithoch abzeichnen. In beiden Vergleichsszenarien würde sich das Kursniveau bis zum Zykluspeak auf rund 760 erhöhen. Besonders bemerkenswert ist dabei, dass Goldminenaktien – wie bereits dargelegt – in der ersten Hälfte der aktuellen Dekade deutlich hinter den Entwicklungen der vergangenen Dekaden, aber auch deutlich hinter Gold und Silber zurückgeblieben sind. Genau dieser Umstand eröffnet nun erhebliches Aufholpotenzial für die zweite Hälfte des Zyklus. Die Kombination aus niedriger Ausgangsbewertung, relativer Underperformance und zunehmender Goldpreisstärke könnte sich somit als kraftvoller Hebel für Minenaktien in der finalen Phase des Bullenmarkts erweisen.
Rohstoffe
Während die 1970er– und 2000er-Jahre markante Rohstoff-Aufwärtsphasen aufwiesen, zeigt sich der aktuelle Zyklus bislang deutlich verhaltener.
Rohstoffe* (log), in USD, 100 = Dekadenbeginn, 12/1969–04/2025
Quelle: LSEG, Incrementum AG
*GSCI Index TR
In der ersten Hälfte der 1970er-Jahre stiegen Rohstoffe um beeindruckende 379%, getrieben von Ölpreisschocks, Inflationsdruck und einem breiten Rohstoffsuperzyklus. Auch in den 2000er-Jahren verlief die erste Dekadenhälfte mit einem Zuwachs von 93% dynamisch, getragen vom chinesischen Wachstum, Nachholeffekten nach dem Platzen der Dotcom-Blase und der expansiven Geldpolitik.
Im Vergleich dazu fiel die Entwicklung in der ersten Hälfte der 2020er-Jahre mit einem Plus von lediglich 38% bislang deutlich moderater aus. Dies ist ein Ergebnis des komplexeren Marktumfelds: Einerseits gab es Preisschübe infolge der Corona-Disruptionen und des Ukrainekriegs, andererseits wirkten Nachfragesorgen, geldpolitische Straffung und geopolitische Unsicherheiten dämpfend.
Noch auffälliger ist die Divergenz in der zweiten Dekadenhälfte. Während Rohstoffe in den 1970ern um weitere 44% zulegen konnten, war der Verlauf in den 2000er-Jahren mit -18% sogar negativ, was vor allem auf die Weltfinanzkrise und die darauffolgende zyklische Schwäche zurückzuführen ist. Für die laufende Dekade bleibt die Entwicklung in der zweiten Hälfte bislang offen, doch die niedrige Ausgangsbasis lässt Potenzial für eine Erholung oder sogar einen Nachzüglerzyklus erkennen. Auch in der Schlussphase nach dem Dekadenende waren die Ausschläge bei Rohstoffen im historischen Vergleich eher begrenzt: +24% in den 1970er– und +29% in den 2000er-Jahren. Im Unterschied zu Gold und Silber kam es nicht zu einer parabolischen Schlussphase.
Insgesamt zeigt sich: Rohstoffe profitieren historisch oft besonders stark, wenn ein Inflationszyklus einsetzt. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn Angebotsschocks, geopolitische Verwerfungen und eine verhaltene Investitionstätigkeit zusammentreffen. Im Gegensatz zu Gold oder Silber reagiert der Rohstoffkomplex jedoch differenzierter und sektorabhängiger. Das bislang moderate Abschneiden in der aktuellen Dekade eröffnet erhebliches Kurspotenzial, vor allem, wenn sich strukturelle Engpässe und die geopolitische Fragmentierung weiter zuspitzen.
Halbzeitbilanz der proprietären Dekaden-Prognose
Unser im In Gold We Trust-Report 2020 „Aufbruch in eine goldene Dekade“ vorgestelltes proprietäres Incrementum Goldpreismodell zielt darauf ab, eine fundierte Projektion des Goldpreises bis zum Ende der Dekade zu ermöglichen. Fünf Jahre nach der ersten Projektion ist es nun an der Zeit, eine Halbzeitbilanz zu ziehen. Dabei beleuchten wir nicht nur die bisherige Goldpreisentwicklung, sondern auch die Entwicklung der zugrunde liegenden Faktoren, um deren Aussagekraft im aktuellen Marktumfeld besser einordnen zu können.
Das Modell basiert im Wesentlichen auf zwei zentralen Parametern: der Entwicklung der Geldmenge (M2) sowie dem sogenannten impliziten Golddeckungsgrad. Da der US-Dollar nach wie vor die globale Leitwährung darstellt und damit einen maßgeblichen Einfluss auf den Goldpreis ausübt, erfolgt unsere Analyse auf Basis der US-Daten, woraus wir ein Zielpreisniveau in US-Dollar ableiten.
Für die künftige Entwicklung der Geldmenge wurden drei M2-Wachstumsszenarien modelliert. Die jeweiligen Wachstumsraten orientieren sich an den Verläufen historischer Dekaden und wurden zusätzlich mit Eintrittswahrscheinlichkeiten gewichtet:
- hohe M2-Wachstumsrate:
9,7% p. a. (1970er); Eintrittswahrscheinlichkeit: 15%
- geringe M2-Wachstumsrate:
3,9% p. a. (1990er); Eintrittswahrscheinlichkeit 5%
- durchschnittliche M2-Wachstumsrate:
6,3% p. a. (2000er); Eintrittswahrscheinlichkeit 80%
M2-Szenaien, in Mrd. USD, 01/1970–12/2029
Quelle: LSEG, Incrementum AG
Wie der Chart veranschaulicht, verläuft das aktuelle Wachstum der M2-Geldmenge nach einer kurzen Phase des Überschießens nun weitgehend entlang des Pfades der 2000er-Jahre, dem wir mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit von 80% mit Abstand das höchste Gewicht beigemessen haben. Per März 2025 liegt die annualisierte Wachstumsrate bei 7,0% p. a.
Der implizite Golddeckungsgrad gibt an, welcher Anteil der Geldmenge durch die Goldreserven einer Zentralbank gedeckt ist, bewertet zum aktuellen Marktpreis. Historisch pendelt dieser Wert um etwa 3,3%, steigt jedoch in Phasen sinkenden Vertrauens in das Geldsystem deutlich an, etwa während der stagflationären 1970er-Jahre oder der Weltfinanzkrise 2007/08 und der anschließenden Rezession. Aktuell liegt der implizite Deckungsgrad bei 3,8%, was auf einen bislang moderaten Anstieg hinweist und sich womöglich erst als Anfang eines größeren Trends erweisen wird.
Golddeckungsgrad von M2, 01/1970–02/2025
Quelle: LSEG, Incrementum AG
Basierend auf diesen drei Szenarien haben wir eine wahrscheinlichkeitsgewichtete Verteilungsfunktion erstellt, die sich an historischen Daten orientiert. Das wahrscheinlichste Szenario ergibt sich bei einem Golddeckungsgrad zwischen 3 und 4% bei einer M2-Entwicklung wie in den 2000er-Jahren. Exakt dort befindet sich der aktuelle Wert mit 3,8%, was für die Kalibrierung und Prognosegüte des Goldpreismodells spricht.
Geglättete Wahrscheinlichkeitsfunktion der Szenarien: M2-Golddeckungsgrade (x-Achse), und Eintrittswahrscheinlichkeit (y-Achse)
Quelle: LSEG, Incrementum AG
Aus der kumulierten Verteilung ergibt sich ein Goldpreis-Erwartungswert von rund 4.800 USD per Ende der Dekade, das Kursziel, welches wir seit Einführung des Modells im Jahr 2020 konsequent vertreten. Wichtig ist auf die deutliche Rechtsschiefe der Verteilung hinzuweisen, die höhere Preisniveaus wahrscheinlicher macht als niedrigere. So liegt die Wahrscheinlichkeit für einen Goldpreis über 6.000 USD bei über 25%, ein Preis oberhalb von 4.000 USD hat eine Eintrittswahrscheinlichkeit von 57,4%.
Approximierter Goldpreis im Jahr 2030 nach Verteilungswahrscheinlichkeit, in USD
Quelle: Incrementum AG
Was zu Beginn der Dekade von vielen noch als utopisch, irrational oder gar esoterisch abgetan wurde, erscheint heute weitaus greifbarer. Die Zahl der bullishen Goldprognosen wächst: Yardeni Research erwartet für Ende 2025 einen Goldpreis von 4.000 USD , für Ende 2026 gar von 5.000 USD – vorausgesetzt, die Goldkäufe der Zentralbanken setzen sich in vergleichbarem Tempo fort. Goldman Sachs hat sein Jahresendziel für den Goldpreis 2025 bereits zum wiederholten Male angepasst und kürzlich von 3.300 USD auf 3.700 USD angehoben. Für ein mögliches Tail-Risk-Szenario nennt Goldman Sachs ein Preisziel von 4.250USD bis Jahresende.
Per Stichtag 30. April notiert der Goldpreis bereits über dem rechnerischen Zwischenziel von 2.942 USD, das wir für Ende 2025 auf dem Pfad zu unserem Dekadenkursziel von 4.800 USD definiert haben. Die dafür erforderliche annualisierte Wachstumsrate liegt bei 7% – ein Wert, der unter den gegebenen makroökonomischen Rahmenbedingungen als realistisch einzustufen ist.
Zwischenstand zur Goldpreisprognose bis 2030: Tatsächlicher und prognostizierter Goldpreis, in USD, 01/1970–12/2030
Quelle: LSEG, Incrementum AG
Da der Goldpreis zuletzt deutlich an Dynamik gewonnen hat, erscheint es sinnvoll, ergänzend auch den Pfad zu betrachten, der sich in einem Szenario ergäbe, das dem inflationären bzw. stagflationären Umfeld der 1970er-Jahre ähnelt, also einem potenziellen Tail-Risk-Szenario mit starkem Aufwärtsdruck. In diesem Fall würde der Goldpreis bis zum Ende der Dekade auf rund 8.900 USD steigen, was einer annualisierten Wachstumsrate von etwa 19% entspräche. Das Zwischenziel für Ende 2025 liegt in diesem Szenario bei 4.080 USD.
Fazit
Der Vergleich der drei großen Gold-Bullenmärkte zeigt: Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich. Trotz diverser Unterschiede überwiegen die strukturellen Ähnlichkeiten in den Rahmenbedingungen. In den vergangenen beiden analysierten Dekaden erwies sich Gold inmitten von Inflation, wirtschaftlichen Verwerfungen und Vertrauenskrisen als sicherer Hafen und erzielte in diesen „goldenen Dekaden“ enorme Wertzuwächse. Viele der damals vorhandenen Zutaten von negativen Realzinsen über exzessive Geldmengenexpansion bis hin zu geopolitischen Spannungen sind in den 2020er-Jahren erneut vorhanden.
Makroökonomischer Vergleich: 1970er vs. 2000er vs. 2020er
Quelle: LSEG, Incrementum AG
Die bisherigen Entwicklungen stützen die These, dass wir ein Déjà-vu erleben und die 2020er-Jahre zur dritten goldenen Dekade werden könnten. Bereits jetzt hat Gold in sämtlichen Währungen zahlreiche historische Höchststände markiert. Sollte sich der Zyklus analog zu den früheren Dekaden fortsetzen, wäre im zweiten Akt der 2020er-Dekade mit einer nochmals beschleunigten Aufwärtsbewegung zu rechnen, die in einem Gipfel um das Dekadenende münden könnte. Tatsächlich endeten vergangene Bullenmärkte jeweils in einem Überschießen innerhalb von etwa 9 Monaten mit einer Preisverdopplung.
Die nachfolgende Tabelle liefert einen aufschlussreichen Vergleich der durchschnittlichen jährlichen Wertentwicklung (CAGR) von Gold, Silber, Minenaktien und Rohstoffen über die 1970er-, 2000er– und 2020er-Jahre, jeweils unterteilt in erste und zweite Hälfte sowie für die Gesamtperiode. Auch wenn die Daten für die zweite Hälfte der 2020er-Dekade naturgemäß unvollständig sind, lassen sich einige interessante Muster erkennen.
CAGR von Gold, Silber, Minenaktien* und Rohstoffe**, in Bullenmarkt-Dekaden, in USD, 12/1969–04/2025
Quelle: LSEG (per 30.04.2025), Incrementum AG
*BGMI 12/1969–05/1996, HUI 05/1996–. **GSCI Index TR. ***Dekadenbeginn bis zum Hoch.
Gold zeigt sich dabei über alle drei Dekaden hinweg als stabilster Performer. In den 1970er-Jahren erzielte es in der ersten Hälfte ein jährliches Plus von über 40%, in der zweiten Hälfte immer noch 21%. In den 2000er-Jahren kehrte sich das Muster leicht um. Hier verlief die zweite Hälfte mit 20% p. a. deutlich dynamischer als die erste mit knapp 9% p. a. Besonders auffällig ist die bisherige CAGR-Entwicklung in den 2020er-Jahren: Nach einer annualisierten Rendite von knapp 12% in der ersten Dekadenhälfte, erzielt Gold in der zweiten Hälfte bislang eine durchschnittliche jährliche Wertentwicklung von 93% p. a. Diese außergewöhnliche Dynamik ist einerseits dem noch kurzen Beobachtungszeitraum geschuldet, der statistisch anfälliger für Ausreißer ist. Andererseits lässt sich darin ein klares Zeichen eines zyklischen Momentums erkennen. Auch wenn nicht davon auszugehen ist, dass Gold das derzeitige Tempo über den gesamten weiteren Verlauf beibehalten wird, unterstreicht die Entwicklung eindrucksvoll die intakte Aufwärtsdynamik und das wachsende Interesse am Edelmetall.
Silber präsentiert sich traditionell als zyklischer Nachzügler mit Hang zu explosiven Endspurts. In den 1970ern fiel die zweite Hälfte mit über 44% p. a. deutlich stärker aus als die erste Hälfte mit 21% p. a. In den 2000er-Jahren zeigte sich ein ähnliches Muster. Auch in der aktuellen Dekade ist bisher eine starke Entwicklung zu beobachten, doch die historischen Parallelen deuten darauf hin, dass sich der dynamische Teil des Zyklus möglicherweise erst anbahnt.
Goldminenaktien gelten als volatilere Hebelvariante des Goldpreises mit teils spektakulären Ausschlägen. In den 1970er-Jahren erzielten Goldminenaktien in der ersten Dekadenhälfte über 35% p. a., bevor sie in der zweiten Hälfte stark an Dynamik verloren. Auch in den 2000er-Jahren war die erste Hälfte mit knapp 24% p. a. wesentlich stärker als die zweite. Die 2020er scheinen dieses Muster zunächst zu brechen: Nach einer enttäuschenden ersten Hälfte mit gerade einmal 3,25% p. a. verzeichnet der Minensektor aktuell ein Comeback mit einem annualisierten Plus von über 170% in der zweiten Dekadenhälfte, was ein starkes Signal für eine Neubewertung ist.
Rohstoffe zeigen ein stark zyklisch geprägtes Bild. In den 1970ern brillierten sie in der ersten Hälfte mit über 36% p. a., getragen von Ölpreisschocks und inflationärem Druck. In den 2000ern war die Entwicklung insgesamt schwächer, wobei die zweite Hälfte durch die Weltfinanzkrise 2007/08 sogar negativ ausfiel und den Rohstoffsuperzyklus jäh beendete. In den 2020ern verlief die erste Hälfte bislang eher verhalten. Die zweite Hälfte begann – bedingt durch den Trump-Schock – mit -0,61% p. a. mit einem leichten Rücksetzer.
Die historische Analyse der vergangenen Bullenmärkte zeigt eindrücklich: Gold, Silber, Minenaktien und Rohstoffe erweisen sich in fragilen makroökonomischen und geopolitischen Phasen als besonders widerstandsfähig. Aus dieser Erkenntnis heraus haben wir im vergangenen Jahr im In Gold We Trust-Report „Das neue Gold-Playbook“ ein weiterentwickeltes 60/40-Portfolio als moderne, robuster strukturierte Alternative zum traditionellen Modell vorgestellt. Ziel war es, den veränderten Rahmenbedingungen Rechnung zu tragen und eine zeitgemäße Allokationsstrategie zu skizzieren.
Im Gegensatz zur traditionellen Aufteilung von 60% Aktien und 40% Anleihen berücksichtigt das neue Modell bewusst die veränderte Risikolandschaft und erweitert den Allokationsrahmen um liquide, alternative Vermögenswerte, die nicht beliebig inflationierbar sind: 45% Aktien, 15% Anleihen, 15% Sicherheitsgold, 10% Performance-Gold, d. h. Silber und Minenaktien, 10% Rohstoffe sowie 5% Bitcoin.
Wie sich diese Neugewichtung in der Praxis seit der Veröffentlichung des letztjährigen In Gold We Trust-Reports bewährt hat, zeigt ein Blick auf die Performance der letzten zwölf Monate im Vergleich zum klassischen 60/40-Portfolio.
Neues 60/40-Portfolio*, und altes 60/40-Portfolio**, in USD, 100 = 17.05.2025, 05/2024–04/2025
Quelle: LSEG, Incrementum AG
*45% S&P 500 TR, 15% US 10Y TR, 15% Gold, 5% Silber, 5% HUI-Index TR, 10% BCOM TR, 5% Bitcoin
**60% S&P 500 TR, 40% US 10Y TR
Der Vergleich der beiden Portfolios über den Zeitraum von Mai 2024 bis April 2025 zeigt: Das neue 60/40-Portfolio konnte sich über weite Strecken deutlich besser entwickeln als das klassische Pendant. Nach einem anfänglich verhaltenen Start nahm die Performance des neuen 60/40-Portfolios spürbar an Fahrt auf. Während das klassische 60/40-Portfolio im weiteren Jahresverlauf zunehmend unter Druck geriet, blieb das neue Modell deutlich stabiler und resilienter, insbesondere in den volatilen Marktphasen im laufenden Jahr.
Der über den Betrachtungszeitraum hinweg entstandene Performancevorsprung untermauert die These, dass eine moderne Portfolioarchitektur, die auf Sound–Money-Komponenten und inflationsresiliente Vermögenswerte setzt, dem traditionellen Modell überlegen ist, sowohl im Hinblick auf Stabilität als auch auf Renditepotenzial. Während Gold bereits neue Allzeithochs markiert hat, bewegen sich Silber und Minenaktien noch im Windschatten. Erfahrungsgemäß holen diese jedoch in der späten Zyklusphase auf, was zusätzliches Aufholpotenzial bei Performance-Gold mit sich bringt.
Vor diesem Hintergrund bleibt das im Vorjahr vorgestellte neue 60/40-Portfolio nicht nur aktuell, sondern erweist sich als strategisch durchdachte Antwort auf die Anforderungen eines zunehmend komplexen Marktumfelds. Es vereint Sound–Money-Prinzipien und reflektiert jene Erkenntnis, die sich durch alle Bullenmärkte zieht: Das historische Muster legt nahe: Die erste Hälfte baut auf, die zweite eskaliert und der Vorhang fällt schließlich mitten im Applaus.